Dossier

Isolierung oder Fortschritt? Russland am Scheideweg

Russland setzt nach einem turbulenten Jahr mit zahlreichen Überwerfungen mit dem Westen für 2008 auf Stabilität unter einer Doppelführung des scheidenden Präsidenten Wladimir Putin und seines wahrscheinlichen Amtsnachfolgers Dmitri Medwedew. Der 42-jährige Medwedew, bisher auch Aufsichtsratschef beim weltgrößten Gaskonzern Gazprom, hat beste Aussichten, die Präsidentenwahl am 2. März zu gewinnen. Putin soll dann nach dem Willen Medwedews der ihm untergeordnete Regierungschef werden. Zum Jahresende nahm das Rätselraten um die politische Zukunft des zum "nationalen Führer" des Landes stilisierten Putin damit ein vorläufiges Ende.

Beobachter haben keinen Zweifel daran, dass das Riesenreich seinen bisherigen Kurs beibehält. Allerdings befürchten Kritiker, dass sich das Land wie schon 2007 international weiter isolieren könnte. Das wirtschaftlich robuste und selbstbewusste Russland kennt keine Scheu vor Konfrontationen in internationalen Streitfragen vom Kosovo über die Zukunft von Abrüstungsverträgen bis hin zu den US- Raketenabwehrplänen in Mitteleuropa.


Kein Kurswechsel

Der 55-jährige Putin hat in seinem gemäß Verfassung letzten Amtsjahr alles getan, um nicht als "lahme Ente" dazustehen. Ein neuer Kremlchef Medwedew wird es nach Meinung von Beobachtern nicht leicht haben, gegen Putins Erfolge sowie gegen das Image des überaus beliebten Präsidenten anzukommen. Medwedew will vor allem die vielen Petrodollars in "bereits existierende Sozialprogramme" investieren, für die er bislang schon zuständig war.

Auf das Putin-Medwedew-Tandem wartet viel Arbeit. Russlands Inflation stieg in diesem Jahr auf mehr als zehn Prozent. Deshalb sind die Menschen zunehmend verärgert über die rasant steigenden Preise für Lebensmittel und für Gas. Soziologen zufolge geben inzwischen 60 Prozent der Familien mehr als die Hälfte ihres Einkommens zum Sattwerden aus. Ein Liter H-Milch kostet mit umgerechnet bis zu 1,50 Euro erheblich mehr als in Deutschland.

Zwar wächst die Mittelschicht beständig, aber immer noch bleiben viele Menschen auf der Strecke. Behörden melden auch in diesem Winter, dass in Moskau mit der weltweit angeblich höchsten Dichte an Milliardären fast jede Nacht mindestens ein Mensch erfriert. Hinzu kommen Berichte etwa des Menschenrechtszentrums Sowa, nach denen immer mehr Menschen Opfer fremdenfeindlicher Übergriffe werden.

Opposition chancenlos

Die ungeeinte und ziellose Opposition dürfte weiter kaum an politischem Einfluss gewinnen. In Russland werden ihre Führer wie der Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow oder der frühere Regierungschef Michail Kasjanow kaum beachtet. Menschenrechtler werfen Putin dabei vor, jede Kritik an der Regierung zu unterdrücken. Das Spektrum 2007 reichte von der Verbannung der Opposition aus den Staatsmedien über den Einsatz von brutaler Polizeigewalt gegen Demonstranten bis hin zu Verhaftungen von Kremlkritikern wie Kasparow.

Aber auch die Konflikte in den islamisch geprägten Teilrepubliken im Nordkaukasus verlangen nach einer Lösung. 2007 haben sich die Auseinandersetzungen zwischen Rebellen und der russisch-stämmigen Bevölkerung vor allem in Inguschetien und in Dagestan verschärft. Dutzende Menschen, unter ihnen auch Kinder, starben bei Anschlägen. Regierungskritiker beklagen, dass die russische Führung kein Programm für die Entwicklung der Region habe.

Putins Gegner halten dem scheidenden Präsidenten vor, mit aggressiven und im Westen scharf kritisierten Auftritten auf der Weltbühne von den Problemen im eigenen Land abzulenken. Seine Muskelspiele im Streit mit der NATO stützten zwar daheim Putins Zustimmungswerte. Zu lösen bleiben aber etwa der Konflikt um die geplante US-Raketenabwehr in Mitteleuropa, die Russland unter Androhung der Stationierung eigener Raketen an den Grenzen zur Europäischen Union ablehnt. Der Westen hofft für 2008 auch auf Verhandlungen über den von Russland im Dezember einseitig ausgesetzten Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE) sowie auf ein neues Partnerschaftsabkommen zwischen Russland und EU.

Russlands Geschicke scheinen für die nächsten Jahre vorgezeichnet. Doch halten es Experten weiter für möglich, dass Putin früher oder später erneut ins Präsidentenamt strebt. "Putin hat der Kremlpartei Geeintes Russland bei der Parlamentswahl im Dezember eine Zweidrittelmehrheit beschert, kontrolliert damit die Staatsduma und die Regierung und kann notfalls ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten einleiten, wenn ihm seine Arbeit nicht gefällt", gab das Wochenmagazin "Profil" zu bedenken.

Von Ulf Mauder, dpa

Quelle: ntv.de

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