Richterstreit beigelegt SPD kürt Voßkuhle
18.04.2008, 18:30 UhrDieses Mal hielten sich die Unterhändler minutiös an die ungeschriebenen Regeln für die Kür von Richtern des Bundesverfassungsgerichts. Die Verhandlungsführer der SPD, die das Vorschlagsrecht hatten, sondierten erst bei den maßgeblichen Unions-Leuten, ob sie den Freiburger Unirektor Andreas Voßkuhle (44) als neuen Vizepräsidenten des höchsten deutschen Gerichts mittragen könne. Die Unions-Gesprächspartner signalisierten im vertraulichen Gespräch nach kurzer Prüfung von Voßkuhles Werdegang Zustimmung.
Am Freitagnachmittag sickerte durch, dass bereits mehr oder weniger alle wichtigen Politiker beider Seiten einverstanden waren. Und schon in einer Woche dürfte Voßkuhle vom Bundesrat, der in dem Fall das Sagen hat, zum neuen zweiten Mann des Gerichts gewählt werden, auch wenn letzte Gespräche noch geführt werden müssen.
Ersatzkandidat der SPD
In der Regel laufen die Wahlen von Richtern so - verschwiegen und plötzlich wird ein Ergebnis präsentiert. Dass dies aber nicht immer so sein muss, haben die vergangenen Wochen jedoch auch gezeigt. Denn Voßkuhle ist gewissermaßen nur ein Ersatzkandidat der SPD, nachdem es um den ersten Vorschlag der Sozialdemokraten, den Würzburger Staatsrechtler Horst Dreier, für das hohe Richteramt in Karlsruhe ein unendliches Tauziehen zwischen Union und SPD gegeben hatte. Ähnlich wie vor über einem Jahrzehnt im Fall der späteren Justizministerin Herta Däubler-Gmelin war die Union nicht bereit, Dreier mitzutragen.
Intern wurde als Begründung vor allem seine Interpretation von Artikel 1 des Grundgesetzes - der Garantie der Menschenwürde - genannt. In seinem Kommentar hatte Dreier die Frage aufgeworfen, ob auch in Extremfällen am Folterverbot festgehalten werden muss. Gravierender noch fiel ins Gewicht, dass Dreier in der Tötung von Embryonen zu Forschungszwecken keinen Verstoß gegen die Menschenwürde sieht.
Dreier wurde abgelehnt
Das Paradoxe: Gerade diese Position zum Embryonenschutz wird von einer Reihe von Unions-Politikern geteilt, wie erst kürzlich die Abstimmung zur Stammzellen-Forschung im Bundestag zeigte. Auch die Kanzlerin und Parteivorsitzende Angela Merkel votierte zumindest dafür, die Forschungsgrenzen zu lockern. Eine Position, die vor allem der dem strikten Lebensschutz verschriebenen katholischen Kirche missfällt. Und so wird unter der Hand als Grund für die Ablehnung Dreiers angeführt, dass die Union das Verhältnis zur katholischen Kirche nicht noch weiter belasten wollte.
Zum Verständnis des Falls gehört aber auch dazu, dass viele Unions-Politiker den Namen Dreier erstmals aus den Medien erfuhren und nicht wie sonst üblich, diskret. Damit hatte der Vorschlag Dreier schon von Anfang an für die Union einen faden Beigeschmack. Mit Voßkuhle ist ein Namen aufgetaucht, den bisher keiner auf der Rechnung hatte.
Durch das politische Gezerre um Dreier ist auch das Verfahren zur Wahl der Verfassungsrichter in die Diskussion geraten. In der Jahrzehnte alten Praxis haben nur einige wenige "Richtermacher" der beiden großen Parteien hinter den Kulissen die Fäden gezogen. Dabei räumten sich die Parteien wegen des Zwei-Drittel-Quorums wechselseitig Vorschlagsrechte für je die Hälfte der Stellen ein.
Undemokratischer als die Papstwahl
Mit dem Fall Dreier könnte das Ende der Verschwiegenheit eingeläutet werden. Das jedenfalls hoffen jene, die die Verfassungsrichterwahl schon immer für einen Ausbund an Intransparenz und Kungelei hielten - undemokratischer als die Papstwahl, lautet ein gängiges Bonmot. Zwar gilt ein öffentliches "Hearing" nach amerikanischem Muster als wenig nachahmenswert. Doch auch der ehemalige Verfassungsrichter Dieter Grimm kann sich ein transparenteres Verfahren vorstellen, in dem ein Kandidat seine Position darlegen könnte.
Im Karlsruher Gericht sind dazu eher skeptische Stimmen zu hören. Eine stärkere Personalisierung, so fürchtet man, birgt die Gefahr einer Politisierung der Kandidatenkür. Und das fürchten die Richter wie der Teufel das Weihwasser. Denn das hohe Ansehen, welches das Gericht Umfragen zufolge seit Jahrzehnten genießt, hat damit zu tun, dass es über dem Parteienstreit schwebt.
Von Ulrich Scharlack und Wolfgang Janisch, dpa
Quelle: ntv.de