Dossier

"DDR war missglückter Versuch" Schabowski wird 80

Mit einer fast beiläufigen Bemerkung sorgte Günter Schabowski am 9. November 1989 für eine Weltsensation. Auf einer Pressekonferenz in Ost-Berlin verkündete das Mitglied des SED-Politbüros - des höchsten DDR-Machtzirkels - ganz nebenbei die Öffnung der Berliner Mauer. So mancher Beobachter hatte zunächst einen Versprecher vermutet. Er habe sehr wohl gewusst, was auf seinem Zettel stand, sagt heute Schabowski, der am 4. Januar 80 Jahre alt wird. "Die Reisefreiheit sollte die DDR retten." Wenig später strömten die DDR-Bürger in Massen über die geöffneten Grenzen.

Der einstige SED-Spitzenfunktionär trauert der DDR nicht nach. Der Arbeiter-und-Bauern-Staat sei ein "missglückter und fehlgeleiteter Versuch" gewesen, die marxistischen Fundamente seien gesellschaftlich nicht relevant gewesen. "Wir Verfechter des Systems waren ja bis zum Schluss überzeugt, dass unsere besseren Lösungen nur durch den Klassenfeind gescheitert sind."

Als Verräter und Schuft beschimpft

Als erster aus der SED-Spitze hatte Schabowski Abgesandte der Bürgerbewegung "Neues Forum" empfangen und versucht, die Wende mitzugestalten. Doch viele nahmen ihm seine persönliche Wandlung nicht ab. Bei der großen Demonstration auf dem Alexanderplatz am 4. November 1989 wurde er lautstark ausgepfiffen. Zu den früheren Genossen habe er keinen Kontakt, sagt Schabowski. Die hätten ihn als Verräter oder Schuft beschimpft.

Schabowski sagt, er bekenne sich zu Mitverantwortung und moralischer Schuld. "Die DDR ist an sich selbst zugrunde gegangen, weil sie ein untaugliches System darstellte", sagte der einstige Hardliner einmal. Es bringe nichts, "in dumpfer Verweigerung der Realität zu verharren".

Als ihm neben dem letzten DDR-Staats- und Parteichef Egon Krenz vor dem Berliner Landgericht der Prozess gemacht wurde, räumte der Ex-Politiker ein, nichts könne rechtfertigen, dass auch nur ein einziger Flüchtling, "der uns den Rücken kehren wollte, dafür mit dem Leben bezahlen musste". Damit ging er in dem Politbüro-Prozess auf Distanz zu Krenz.

Zu drei Jahren Haft verurteilt

Im August 1997 verurteilte das Berliner Landgericht Schabowski wie das Politbüromitglied Günther Kleiber wegen Totschlags zu drei Jahren Haft. Krenz bekam sechseinhalb Jahre. Die Richter urteilten, dass auch Schabowski zu den Verantwortlichen des menschenverachtenden Grenzregimes zwischen Ost und West gehörte. Später, im August 2007, erklärte Schabowski in der Diskussion um den Schießbefehl, es sei Praxis gewesen, dass Menschen an der DDR-Grenze bei Fluchtversuchen erschossen wurden. "Wir alle, auch ich, tragen Mitschuld daran, dass wir nichts dagegen unternommen haben."

Schabowski und Kleiber wurden im September 2000 begnadigt und nach weniger als einem Jahr aus dem offenen Vollzug aus dem Berliner Gefängnis Hakenfelde entlassen. Krenz, dessen Beschwerden sowohl vom Bundesverfassungsgericht als auch vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte abgelehnt wurden, kam erst im Dezember 2003 vorzeitig auf freien Fuß.

Vom Journalismus in die Politik

Der in Anklam als Sohn eines Klempners geborene Schabowski übernahm im März 1978 die Leitung des SED-Massenblattes "Neues Deutschland". 1984 gelang dem Absolventen der Moskauer KPdSU-Parteihochschule und diplomierten Journalisten der Aufstieg als Vollmitglied ins SED-Politbüro.

Als Schabowski 1985 Chef der Berliner SED-Bezirksleitung wurde, gab er den Posten als Chefredakteur auf. Neben Krenz war Schabowski in der Endphase der DDR als Nachfolger des greisen Erich Honecker gehandelt worden. Seinen Geburtstag will er im Kreise seiner Familie "ohne großes Trara" feiern.

Jutta Schütz, dpa

Quelle: ntv.de

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