Die EU und Russland Schlechte Stimmung vor Gipfel
14.05.2007, 16:10 UhrHektische Krisendiplomatie im Namen der EU - das blieb Kanzlerin Angela Merkel und ihrer Berliner Regierungsmannschaft bisher erspart. Nach viereinhalb Monaten wird es nun Ernst für die deutsche EU-Ratspräsidentschaft. Bei einem kurzfristig angesetzten Spitzentreffen im Kreml wird Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier am Dienstag versuchen, unmittelbar vor dem Gipfel zwischen der EU und Russland die Wogen zu glätten.
Zu einem Fiasko soll es nicht kommen: "Der Gipfel wird stattfinden", wiederholt der deutsche EU-Vorsitz eisern. Vor dem Spitzentreffen an diesem Freitag in der Wolgastadt Samara geht es vor allem darum, in einer politisch aufgeheizten Stimmung zu deeskalieren und Vernunft walten zu lassen, meinte ein EU-Diplomat beim Brüsseler EU-Außenministertreffen.
Große Durchbrüche werden bei dem Treffen von Präsident Wladimir Putin, Merkel und EU-Spitzenvertretern an der Wolga nicht mehr erwartet. Die Gemengelage aufgelaufener Schwierigkeiten sei einfach zu kompliziert. In der EU ist man schon froh, wenn der Gesprächsfaden nicht abreißt. Die österreichische Außenministerin Ursula Plassnik sprach von einem "Dialog, der auch seine Dornen hat."
Da ist zunächst Polen, das die Aufnahme von Verhandlungen für ein neues EU-Partnerschafts- und Kooperationsabkommen mit Moskau wegen dessen Importstopps für polnisches Fleisch blockiert. Warschau fordert zudem russische Zusicherungen für die Energiesicherheit. Inzwischen erwägt auch Estland ein Veto gegen den neuen Pakt. Außenminister Urmas Paet bewertete die Einstellung des Zugverkehrs zwischen St. Petersburg und Tallinn in einem Interview als "äußerst seltsam" - es handele sich im Grunde um Sanktionen. Zwischen dem baltischen Staat und Russland kracht es seit Wochen kräftig wegen der Verlegung eines sowjetischen Kriegerdenkmals in Tallinn.
Und dann ist da noch die "große Politik". Washingtons Pläne, einen neuen Raketenschutzschild im östlichen Mitteleuropa zu stationieren, sorgen für Unmut in Moskau. Putin drohte deshalb bereits mit der Aussetzung von Abrüstungsverträgen. Eine weitere Sollbruchstelle zwischen dem Westen und Russland ist die Zukunft des Kosovo. Russland lehnt im UN-Sicherheitsrat als treuer Verbündeter Serbiens den von den USA eingebrachten Resolutionsentwurf zu einer Unabhängigkeit der Krisenprovinz energisch ab.
Die EU darf schon wegen der äußerst heiklen Kosovo-Frage Moskau nicht verprellen. "Das Wichtigste, was wir in der Europäischen Union mit Russland jetzt zu lösen haben, ist Kosovo", unterstrich der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn. "Also müssen wir die Luft rausnehmen." In Samara müsse die EU ganz klar sagen, dass diese Zukunfts-Frage, bei der es um den Frieden in Europa gehe, gemeistert werden müsse.
Angesichts dieser krisenhaften Entwicklungen redet derzeit kaum noch einer über das angestrebte Partnerschafts- und Kooperationsabkommen mit Russland. Die Bundesregierung wollte eigentlich während ihrer EU-Präsidentschaft die Verhandlungen dazu beginnen. Nach dem Willen der energieabhängigen Europäer sollte es in dem Pakt auch ein Energiekapitel geben.
Auch beim zweiten großen Gipfel-Thema, den Sibirien-Überflügen europäischer Fluggesellschaften, sieht es nach Blockade aus. Die EU verlangt - bisher erfolglos - die Umsetzung eines Abkommens, das einen Verzicht auf jährlich 300 Millionen Euro Gebühren für den Überflug Sibiriens bedeuten würde. Diese Frage ist für die EU eine unverzichtbare Vorbedingung für einen Beitritt Russlands zur Welthandelsorganisation (WTO).
Christian Böhmer, dpa
Quelle: ntv.de