Dossier

Sebastian Edathy im Interview Schluss mit Bewährung

Härtere Strafen für rechtsextreme Täter und mehr Kontinuität in der Arbeit gegen Radikale – das fordert Sebastian Edathy (SPD) im Gespräch mit n-tv.de. Der Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses ist indischer Abstammung und daher besonders betroffen von der Hetzjagd im sächsischen Mügeln.

n-tv.de: Herr Edathy, Hetzjagd auf Ausländer in einer ostdeutschen Kleinstadt. Was empfinden Sie da? Oder sind Sie am Ende gar nicht überrascht?

Edathy: Die Zahlen rechtsextremer Gewalt steigen leider seit geraumer Zeit. Im letzten Jahr waren 1.000 rechtsextremistisch motivierte Gewaltdelikte zu verzeichnen. Insofern kann man nicht überrascht sein. Was mich am konkreten Fall jedoch erschüttert, ist der Umstand, dass sich in einer kleinen Stadt wie Mügeln ein Mob von fast 50 Personen auf Hetzjagd begibt, und dass es offenbar noch mehr Menschen gegeben hat, die untätig zusahen. Das ist wirklich entsetzlich.

Sie sagen, in Ostdeutschland sei das Risiko, Opfer rechter Gewalt zu werden, höher als im Westen. Worauf stützt sich diese Darstellung?

Auf Angaben des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Im jährlichen Verfassungsschutzbericht werden die Gewalttaten mit rechtsextremem Hintergrund auf 100.000 Einwohner und für die jeweiligen Bundesländer berechnet. Angeführt wird im Jahr 2006 diese Liste von Sachsen-Anhalt mit 4,49 rechtextremistisch motivierten Gewalttaten pro 100.000 Einwohner. Es folgen die Bundesländer Brandenburg, Berlin, Thüringen, Schleswig-Holstein und Sachsen. Im Vergleich dazu kamen in Bremen im Jahr 2006 lediglich 0,3 rechte Gewalttaten auf 100.000 Einwohner. Das heißt, dass das Risiko, Opfer rechtsextremistischer Gewalt zu werden, in Sachsen-Anhalt im vergangenen Jahr mehr als zehn Mal so hoch war wie in Bremen. Verschärft wird das Bild noch dadurch, dass es in Ostdeutschland fünf Mal weniger Ausländer gibt als in Westdeutschland.

Der Osten: bald tatsächlich eine No-Go-Area?

Es wäre falsch, dies für den gesamten Osten Deutschlands zu behaupten. Ich bin sicher, dass es Regionen und Städte in Ostdeutschland gibt, wo man ohne Probleme auch nachts mit einer vergleichsweise dunkleren Hautfarbe über die Marktplätze gehen kann. Dazu gehören sicherlich die größeren Städte wie Leipzig, Dresden oder Potsdam. Ich hielte es aber für unverantwortlich, beispielsweise einem farbigen US-Amerikaner zu sagen, "Du brauchst Dir keine Sorgen zu machen, Du kannst Dich jederzeit überall ohne Bedenken bewegen." Dies heißt im Umkehrschluss natürlich nicht, dass man in den westlichen Bundesländern nicht auch Opfer einer rechtsextremen Gewalttat werden kann. Rechtsextremismus ist ein gesamtdeutsches Problem - aber ein Problem mit regional unterschiedlicher Ausprägung. Und ein Problem, das im Osten besonders stark auftritt, wo die Hälfte der 40.000 in Deutschland agierenden Rechtsextremisten lebt, obwohl nur ein Fünftel der Gesamtbevölkerung dort ihren Wohnsitz hat. Das ist keine Diffamierung des Ostens, sondern die Realität.

Die Bundesregierung hat mit verschiedenen Programmen versucht, rechte Tendenzen in den Griff zu bekommen. Wie sieht da die Zwischenbilanz aus?

Trotz solcher Vorfälle würde ich eine positive Zwischenbilanz ziehen. Ich kenne zahlreiche der geförderten Projekte persönlich und bin von der Wichtigkeit ihrer Arbeit überzeugt. Und auch der Untersuchungsbericht zu dem bisherigen Programm hat die Bedeutung der Arbeit unterstrichen. Letztendlich ist es aber immer schwierig, den Erfolg von Präventionsmaßnahmen zu messen. Ich bin sicher, dass es um die demokratische Zivilgesellschaft – gerade in den neuen Bundesländern – ohne diese Programme weitaus schlechter bestellt wäre.

Was muss man da besser machen?

Meines Erachtens ist die Verstetigung der Arbeit gegen Rechtsextremismus wichtig. Es kann nicht sein, dass nach einem Vorfall wie in Mügeln grundsätzlich nach mehr Geld gerufen wird, aber in anderen Phasen, in denen das Thema "rechte Gewalt" nicht auf den ersten Seiten der Zeitungen steht, für die Finanzierung solcher Programme mühsam gekämpft werden muss. Rechtsextremismus ist ein Dauerproblem. Und daher müssen auch die Maßnahmen zur Prävention und Bekämpfung des Rechtsextremismus auf Dauer und langfristig angelegt sein. Dazu gehört, dass Bund, Länder und Kommunen ihr Vorgehen stärker miteinander abstimmen müssen.

Wie wollen Sie die Lücken, die rechte Organisationen nach dem Rückzug des Staates im sozialen Gefüge eingenommen haben, wieder zurückerobern?

Von einem Programm wie dem Bundesprogramm gegen Rechtsextremismus kann man keine Wunder erwarten. Schon gar nicht kann ein solches Programm die reguläre Jugendarbeit vor Ort ersetzen. Das Programm ist nur ein Zusatz. Es stehen die Länder und Kommunen in Verantwortung, die reguläre Jugendarbeit aufrechtzuerhalten und für eine angemessene finanzielle Ausstattung zu sorgen. Rechtsextremisten sind dort bei der Rekrutierung von Nachwuchs besonders erfolgreich, wo es an vernünftigen Angeboten der Freizeitgestaltung mangelt.

Wenn Menschen quasi als Gaffer und Applaudierer eine solche Hetzjagd unterstützen – wie weit ist es da mit der sozialen Verwahrlosung gekommen?

Dies ist in der Tat fast erschreckender als die Hetzjagd selbst. Ich kann mir dies nur so erklären, dass bei einem Teil der Zuschauer die Ressentiments und der fremdenfeindliche Hass zu einem bestimmten Ausmaß geteilt werden. So etwas ist eigentlich nur dann möglich, wenn Rassismus eine gewisse gesellschaftliche Akzeptanz erlangt hat. Man muss sich vor Augen halten, dass Demokratie und Zivilisation nicht vererbt werden können, sondern erlernt werden müssen. In Teilen Ostdeutschlands scheint es eine Art demokratisches Vakuum zu geben. Das macht mir Sorgen.

Nochmal anders gefragt: Warum sind so viele Ostdeutsche frustriert? Angeblich erleben wir doch einen neuen Aufschwung.

Es ist eine Fehlannahme, dass empfundene oder tatsächliche materielle Benachteiligung automatisch zu Ressentiments gegenüber Fremden führen. Das Verhältnis ist sehr viel komplexer, und Faktoren wie die politische Kultur oder der Ausmaß des tatsächlichen Kontakts zu Migranten spielen hierbei eine wichtige Rolle. Aber natürlich ist es so, dass die Identifizierung mit einer Gesellschaft und ihren Werten auch mit den Chancen zusammenhängt, die sie den Einzelnen zur Verfügung stellt. Dass diesbezüglich gerade in den neuen Bundesländern noch einiges besser werden muss, steht außer Frage.

Was muss der Staat als Erkenntnis aus einer solchen Tat dringend tun?

Ich denke, dass es an der Zeit ist, darüber nachzudenken, rechtsextrem motivierte Gewalttaten härter zu bestrafen. Als Vorbild könnte die so genannte Hate-Crime-Gesetzgebung aus den USA aber auch in vielen europäischen Ländern dienen. Einer solchen Gesetzgebung liegt die Überlegung zu Grunde, dass einer rassistischen Gewalttat ein besonderer Unrechtsgehalt innewohnt, weil das Opfer zum Opfer wird, weil es einer in den Augen des Täters als menschlich minderwertig betrachteten Gruppe angehört. Dies könnte beispielsweise bedeuten, dass die Bestrafung einer rechtsextremistischen Gewalttat grundsätzlich nicht zu Bewährung ausgesetzt werden darf. Denn gerade Bewährungsstrafen werden in der rechtsextremen Szene häufig als Freispruch missverstanden. Die Bundesländer Sachsen-Anhalt und Brandenburg wollen einen solchen Antrag in den Bundesrat einbringen. Ich begrüße dies.

(Mit Sebastian Edathy sprach Jochen Müter)

Quelle: ntv.de

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