Dossier

Mehrheiten sind ungewiss Schwan gegen Köhler

Gut zwei Monate vor der Bundesversammlung bringen sich Amtsinhaber Horst Köhler und seine Herausforderin Gesine Schwan in Stellung. Auch wenn die Kandidaten keinen "Wahlkampf" im herkömmlichen Sinne führen, fallen sie mit öffentlichen Äußerungen auf. Käme es auf die Stimmung im Volk an, hätte Köhler schon gewonnen. Aber am 23. Mai entscheiden 1224 Wahlmänner und Wahlfrauen, wer die nächsten fünf Jahre an der Spitze des Staates steht. Diese Wahl könnte einer der knappsten seit 1949 werden und auch Auswirkungen auf die Bundestagswahl im Herbst haben, was die SPD-Kandidatin Schwan immer wieder bestreitet. Unsichere Kantonisten in beiden Lagern könnten indes die Pläne der Parteistrategen durchkreuzen.

Während der amtierende Bundespräsident am Wochenende die große Koalition trotz des heraufziehenden Wahlkampfs zum Regieren aufforderte und ansonsten in Interviews seine Position zu aktuellen Themen darlegte, war von seiner Konkurrentin zu hören, sie wolle in der Bundesversammlung Delegierte aus dem bürgerlichen Lager herüberziehen. Ohne Überläufer, das ist klar, kann Schwan nicht gewinnen. Und sie braucht die Stimmen der Linken, die sie in einem Balanceakt umwirbt und kritisiert. Das wiederum setzt voraus, dass die Linken ihren Zählkandidaten, den Schauspieler Peter Sodann, zurückziehen, sollte es überhaupt zu mehr als einem Wahlgang kommen.

"Neue ökologische industrielle Revolution"

Der von Union und FDP unterstützte Köhler, dem häufig eine angeblich unzulässige Einmischung in die Tagespolitik vorgehalten wird, äußert sich zu den Planspielen nicht. Er übt, das ist sein Vorteil, sein Amt aus. Erst am Freitag bei einem Kurzbesuch in Madrid - auf längere Auslandsreisen verzichtet Köhler vor der Wahl - ließ er sich erneut zur globalen Wirtschafts- und Finanzkrise vernehmen. Nur aus der ehrlichen Analyse der Versäumnisse und Fehlentwicklungen könnten die richtigen Schlüsse gezogen werden. Hier, so scheint es, sieht auch der Ex-Finanzstaatssekretär und globale Finanzmanager heute einiges anders. Schon als Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF) widersprach er dem Klischee eines kalten Geldstrategen. Jetzt fordert er "eine neue, ökologische industrielle Revolution", wie Köhler in der "Passauer Neuen Presse" bekräftigte.

Auch die Politikwissenschaftlerin Schwan beschäftigt sich mit der großen Krise. Sie muss allerdings mit dem Nachteil leben, dass ihre Äußerungen oft nicht wahrgenommen werden. Dennoch wittert sie jetzt Morgenluft. Von der SPD-Spitze fühlt sie sich unterstützt. In der Phase der Kandidatenwerdung schien dies nicht immer so, hatten doch maßgebliche Sozialdemokraten zunächst eine Wiederwahl Köhlers befürwortet.

Schwan-Lager im Aufwind

Auftrieb gibt dem Schwan-Lager eine Panne der Konkurrenz. Ob es Schusseligkeit oder Absicht war, weiß keiner. Jedenfalls haben bei der Wahl der Delegierten für die Bundesversammlung im sächsischen Landtag einige CDU-Abgeordnete gepatzt mit der Folge, dass die CDU zwei Sitze verlor, die SPD zwei gewann, die Grünen eine Stimme mehr, die Linken eine weniger haben. Damit ist für Köhler in der Bundesversammlung die rechnerisch ohnehin knappe Mehrheit noch knapper geworden. Weitere Pannen kann sich das bürgerliche Lager kaum mehr erlauben, auch wenn nicht sicher ist, ob alle SPD-Delegierte wirklich Schwan wählen werden.

Bei der Nominierung der Delegierten, bei der sich die Parteien gerne mit Prominenten schmücken, achten die Strategen darauf, dass nur zuverlässige Kandidaten entsandt werden. Für die Freien Wähler aus Bayern, die das Zünglein an der Waage sind, soll deshalb nicht Gabriele Pauli nach Berlin fahren, hatte doch die Ex-CSU-Rebellin Sympathien für Schwan erkennen lassen. In unguter Erinnerung ist da noch Fürstin Gloria von Thurn und Taxis, die 2004, obwohl von der CSU nominiert, nach der Wahl zu der schon damals angetretenen SPD- Kandidatin Schwan bekannte: "Sie sind eine wunderbare Frau. Ich habe Sie gewählt."

Ein knappes Ergebnis erwartet

Können Union und FDP ihre Reihen geschlossen halten und stimmen die zehn Freien Wähler mit, kann Köhler mit 615 Stimmen rechnen. Das wären 50,25 Prozent und das knappste Ergebnis, mit dem je ein Präsident wiedergewählt wurde. Vor fünf Jahren gewann Köhler mit 50,16 Prozent. Nur 1969 war das Ergebnis noch knapper. Der SPD- Kandidat Gustav Heinemann erhielt im dritten Wahlgang 50,05 Prozent.

Quelle: ntv.de, Norbert Klaschka, dpa

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