Dossier

Dauer-Streit mit Libyen Schweiz riskiert ihren guten Ruf

Gaddafi ruft zum Dschihad gegen die Schweiz auf.

Gaddafi ruft zum Dschihad gegen die Schweiz auf.

(Foto: picture alliance / dpa)

Der Streit mit Libyen könnte die Schweiz teuer zu stehen kommen. Ihr wird die "Unfähigkeit im Umgang mit großen Themen" vorgeworfen. Wie gut kann sie eigentlich noch vermitteln?

Für die Schweiz steht im Dauer-Streit mit Libyen viel auf dem Spiel. Nach Ansicht von Experten könnte die Eidgenossenschaft in dieser Krise ihren traditionell guten Ruf als neutraler Vermittler in Konflikten verlieren. Einen neuen Tiefpunkt erreichten die seit rund eineinhalb Jahren zerrütteten Beziehungen zwischen Bern und Tripolis, als der libysche Machthaber Muammar el Gaddafi zum Heiligen Krieg gegen die Alpenrepublik aufrief. In dem festgefahrenen Streit macht die Außenpolitik der Schweiz nach Auffassung von Politikwissenschaftlern keine gute Figur.

Alles fing damit an, dass Hannibal Gaddafi, ein Sohn des libyschen Machthabers, im Juli 2008 mit seiner Frau vorübergehend in Genf festgenommen wurde. Ihnen wurde vorgeworfen, zwei Hotel-Angestellte misshandelt zu haben. Libyen nahm daraufhin zwei Schweizer Geschäftsleute fest und stellte sie vor Gericht. Die Eidgenossenschaft wiederum verhängte ein Einreiseverbot für hochrangige Libyer, denen damit gleichzeitig die Reise in den Schengen-Raum verwehrt wird. Im Gegenzug erklärte Tripolis, Bürgern aus dem Schengen-Raum keine Einreise-Visa mehr auszustellen.

Vermittlerrolle in Zweifel gezogen

Einer der beiden Schweizer Geschäftsmänner konnte Libyen nach zähem Ringen zwar in der vergangenen Woche verlassen, der diplomatische Streit habe aber bei der Schweiz eine "Unfähigkeit im Umgang mit großen Themen" offengelegt, sagt Rémi Baudoui, Professor am Europa-Institut an der Universität Genf. Es stelle sich deshalb die Frage, ob die Schweiz weiter in der Lage sei, eine wichtige Vermittlerrolle in internationalen Konflikten zu übernehmen - zumal gerade aus skandinavischen Ländern die Konkurrenz groß sei.

Ihren eigentlich guten Ruf verdiente sich die Schweiz in den vergangenen Jahrzehnten. Im Zweiten Weltkrieg blieb die Alpenrepublik außenpolitisch neutral. Zudem machte sich das Land hinter den Kulissen der internationalen Bühne immer wieder als Vermittler einen Namen: Die Schweiz trug zu einer historischen Annäherung zwischen der Türkei und Armenien bei, die angesichts eines Streits um die Massaker an Armeniern zur Zeit des Osmanischen Reichs lange unmöglich schien. Sie spielte in den Verhandlungen zur Unabhängigkeit des Kosovo eine Rolle und vertritt seit 1980 die Interessen der USA im Iran.

"Unglücklicher" Schachzug

Der Baustopp von Mineratten in der Schweiz ist nur ein Kapitel im Streit mit Libyen.

Der Baustopp von Mineratten in der Schweiz ist nur ein Kapitel im Streit mit Libyen.

(Foto: picture alliance / dpa)

Um dem Ansehen der Schweiz zu schaden, spiele Libyens Machthaber Gaddafi nun mit dem Volksentscheid zum Bau-Verbot für Minarette vom vergangenen November, sagt der Leiter des in Genf ansässigen Forschungszentrums über den arabischen und mediterranen Raum, Hasni Abidi. "Gaddafi weiß, dass die diplomatische Vermittlerrolle der Schweiz auf ihrem Ruf als neutrales, unparteiisches und offenes Land basiert." Seit dem Referendum seien die Beziehungen zur arabischen Welt aber "heikel", sagt Marcelo Kohen, Professor für internationales Recht.

Zudem könnte in der Libyen-Krise ein vermeintlicher "Trumpf" der Schweiz noch teuer zu stehen kommen. Dass die Alpenrepublik im Ringen um die Freilassung ihrer beiden Bürger im Sommer 2009 damit begann, keine Visa für fast 200 ranghohe Libyer mehr auszustellen, sei zunächst ein "starkes Element in den Verhandlungen" gewesen, sagte Baudoui. Denn mit diesem Verbot blieb den Libyern faktisch auch die Einreise in den Schengen-Raum verboten, dem die Schweiz als Nicht-EU-Mitglied angehört.

Als politisches Druckmittel hätte die Schweiz das Schengener Abkommen allerdings nicht einsetzen dürfen, da die europäischen Nachbarn für diesen Schritt eines Tages auch in anderen Fragen Entgegenkommen von der Alpenrepublik verlangen könnten, sagt Kohen. "In der Diplomatie hat alles seinen Preis." Dies sei ein "unglücklicher" Schachzug der Schweiz gewesen, da die Beziehungen zu einigen europäischen Nachbarstaaten derzeit zum Beispiel in Finanzfragen schwierig seien. Diese Länder könnten die Schweiz im Gegenzug nun noch mehr zur Abschaffung des Bankgeheimnisses drängen, sagt Baudoui.

Quelle: ntv.de, Hui Min Neo und Alix Rijckaert, AFP

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