"Situation außer Kontrolle" Seuchengefahr droht
12.05.2008, 13:43 UhrDer Regen war so heftig, dass die Menschen mit Wunden und blauen Flecken übersät sind. Aber sie zählen noch zu den Glücklichen im Irrawaddy-Delta in Birma, wo der Zyklon "Nargis" vor zehn Tagen am schlimmsten wütete. Dort gibt es nichts - weder Strom, Wasser noch ausreichend Medikamente. Viele Opfer haben seit Tagen nichts gegessen und sind traumatisiert. Durch die Flut ist das Wasser versalzen, Leichen sind im Dickicht gestrandet. Es ist ein Alptraum. Durch Seuchen könnten jetzt noch mehr Menschen sterben als in ganz Südasien bei dem Tsunami 2004, fürchten Helfer. Durchfall, Fieber und Wunden müssen dringend behandelt werden.
Das Delta an der Südküste gleicht einem riesigen Ödland aus Schlamm. "Die Situation ist völlig außer Kontrolle", berichtet der Arzt Saw Simon Tha in einem Krankenhaus, das versucht, tausende Verzweifelte zu versorgen. Hunderte liegen dort dicht gedrängt und oft nur noch halb bei Bewusstsein auf dem Boden, wie heimlich gemachte Filmaufnahmen der BBC zeigen. Viele Menschen kommen mit gebrochenen Knochen und inzwischen schwer entzündeten Wunden. "Wir haben unzählig viele Patienten und keine Medikamente", erzählt der Arzt.
Mit 100 Mitarbeiten 50.000 Opfer erreicht
Die Organisation Ärzte ohne Grenzen, die schon seit 1992 in Birma hilft, ist mit rund 100 Mitarbeitern im Delta unterwegs und hat es geschafft, etwa 50.000 Opfer zu erreichen. Die Region ist schwer zugänglich. Erst werden Planen, Reis und medizinische Ausrüstung mit Lastern transportiert, dann müssen die Helfer auf Boote und schließlich auf Motorräder umsteigen. "Das muss alles so schnell wie möglich gehen", erklärt Vize-Programmkoordinatorin Juli Niebuhr in Rangun. Die Hilfsgüter kommen bei den Notleidenden im Delta an, versichert sie.
Rund um die Uhr werden in Rangun Planen zurechtgeschnitten, die ins Krisengebiet gebracht werden. Was Niebuhr bisher von ihren Kollegen aus dem Delta gehört hat, klingt verheerend. "Viele Dörfer sind völlig verschwunden", erzählt sie. Oft haben nur fünf bis zehn Bewohner überlebt. "In Gebieten, die nicht überschwemmt sind, ist der Sturmschaden groß." Bislang gebe es keine Anzeichen für Epidemien, das Risiko bestehe aber.
Schwere Regenfälle vorhergesagt
Im Delta könnte sich die Lage noch verschlimmern. Meteorologen haben für diese Woche schwere Regenfälle vorhergesagt. Die Hilfsorganisation Oxfam hält es nur für eine Frage der Zeit, wann es zum Ausbruch von Seuchen kommt. "Mehr als 100.000 Menschen sind wahrscheinlich tot, und alles deutet auf eine weitere Katastrophe hin, die diese Zahl um ein 15-faches erhöhen könnte", meint die Direktorin für Ostasien Sarah Ireland in Bangkok.
Dort und in Rangun warten viele Helfer seit Tagen darauf, dass sie mit anpacken können. Einer davon ist der Arzt Gerald Ripberger vom Erkundungsteam der Johanniter-Unfallhilfe, der die Gefahren in Katastrophengebieten kennt. "Durch die Feuchtigkeit und die Temperaturen erhöht sich die Zahl der Bakterien", sagt der 33 Jahre alte Mediziner. Wunden können sich entzünden. "Mittel gegen Infektionen sind unheimlich wichtig", sagt Ripberger. Außerdem werden Infusionen gebraucht; Durchfall ist besonders für Babys gefährlich.
Militärregierung unter Beschuss
Die Militärregierung von Birma steht massiv unter Beschuss, weil sie ausländische Helfer behindert oder gar nicht erst ins Land lässt. Organisationen, die schon vor dem Zyklon präsent waren, haben es da etwas leichter. Um ihre Projekte nicht zu gefährden, halten sich Helfer aus der politischen Diskussion heraus. Sie arbeiten unauffällig mit qualifizierten Ortskräften, die sich freier und ohne Sprachbarriere im Land bewegen können. In Rangun zeigt sich mancher Bewohner erfinderisch: Eine Hotelbesitzerin hat eine Spendenbox aufgestellt für Mitarbeiter, die Sturmopfer geworden sind.
Von Johanna Marten, dpa
Quelle: ntv.de