"Nuclear Deal" droht zu scheitern Singh in Erklärungsnot
02.07.2008, 08:23 UhrWenn Manmohan Singh in den kommenden Tagen beim G8-Gipfel in Japan US-Präsident George W. Bush trifft, dürfte der indische Premierminister Einiges zu erklären haben. Das wichtigste bilaterale Projekt - die Zusammenarbeit im zivilen nuklearen Bereich - droht am innenpolitischen Widerstand in Indien zu scheitern. Der geplante Vertrag, mit dem der weltweite Nuklearboykott Indiens beendet werden sollte, hat die Regierungskoalition in Neu Delhi an den Rand des Zusammenbruchs gebracht. Sollte der "Nuclear Deal" nicht zustande kommen, wäre Bush einer seiner wenigen außenpolitischen Erfolge genommen - ausgerechnet von den indischen Kommunisten.
Dabei hatte alles so gut begonnen. Nach einem Treffen mit Bush in Neu Delhi, bei dem beide Seiten den Vertrag über zivile nukleare Kooperation unterzeichneten, sagte Singh im März 2006: "Wir haben heute Geschichte geschrieben." Seit den Atomwaffentests 1998 ist Indien, das den Atomwaffensperrvertrag nie unterzeichnet hat, auch im zivilen nuklearen Bereich weltweit isoliert. Das rasante indische Wirtschaftswachstum aber befeuert den Hunger nach Energie. Wie sehr es an der Versorgung mangelt, machen regelmäßige Stromausfälle selbst in der Hauptstadt Neu Delhi immer wieder deutlich.
Aussicht auf Prestigegewinn
Um die Atomkraft aber wie geplant auszubauen, benötigt Indien nicht nur internationale Zusammenarbeit beim Bau von Meilern, sondern auch Zugang zu günstigem nuklearem Brennstoff auf dem Weltmarkt. Mit dem "Nuclear Deal" sollte all das möglich werden - und noch viel mehr. Der Vertrag hätte einen ungeheuren Prestigegewinn für Indien in der internationalen Arena bedeutet. Das südasiatische Land wäre de facto als legitime Atommacht anerkannt worden - und das zu ausgesprochen vorteilhaften Bedingungen für die Inder.
Dem Vertrag mit den USA zufolge müsste Neu Delhi nur einen Teil der Atomanlagen des Landes unter Aufsicht der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) stellen. Außerdem wollte Washington seinen Einfluss in der Nuclear Suppliers Group (NSG), dem Gremium der Staaten mit Atomtechnologie, zur Geltung bringen - die NSG muss den weltweiten Boykott aufheben. Nicht nur mit den USA hätte Indien dort einen mächtigen Fürsprecher. Auch Länder wie Russland und Frankreich wollen mit Neu Delhi ins Nuklear-Geschäft kommen. Die Zustimmung des US-Kongresses schien nach Lobbyarbeit der Bush-Regierung für das Abkommen ebenfalls keine übergroße Hürde mehr darzustellen.
Sturz der Regierung droht
Dass das Sperrfeuer stattdessen aus Indien selbst kommt, sorgt bei westlichen Diplomaten in Neu Delhi für Kopfschütteln. Die Kommunisten drohen, der Minderheitsregierung ihre Unterstützung im Parlament zu entziehen, sollte Singh die Umsetzung des Vertrages weiter verfolgen. Hintergrund ist die traditionelle Amerikafeindlichkeit der Linken auch in Indien. Der Vertrag würde eine strategische Allianz mit den USA zementieren und "die unabhängige Außenpolitik des Landes stark untergraben", warnte der Generalsekretär der Kommunistischen Partei Indiens (Marxisten), Prakash Karat, vor wenigen Tagen.
Sollten die Kommunisten Ernst machen und sollte es Singhs Kongresspartei nicht gelingen, sich mit anderen Unterstützern eine Mehrheit im Parlament zu sichern, dann droht der Sturz der Regierung - und dieses Szenario erscheint immer wahrscheinlicher. Je nach Ausgang der Neuwahlen - und der Präsidentschaftswahl in den USA im November - würde das Abkommen deutlich verzögert, möglicherweise würde es ganz hinfällig. Dabei hatten Washington und Neu Delhi gehofft, die nukleare Isolation Indiens noch in diesem Jahr zu beenden. Nicht nur für Bush, auch für Singh wäre der "Nuclear Deal" einer der größten außenpolitischen Erfolge seiner Amtszeit.
Mit Unbehagen dürfte Bush beim Treffen mit Singh in Japan nicht nur quittieren, dass das Nuklear-Abkommen vor dem Aus stehen könnte - sondern auch, dass gleichzeitig ein anderes Energieprojekt Indiens zügig voranschreitet: Der Vertrag über eine seit Jahren geplante Gas-Pipeline vom Iran über Pakistan nach Indien könnte in naher Zukunft unterschrieben werden. Die USA waren wegen der Beteiligung Teherans stets gegen die Pipeline - doch der Protest blieb bei den zunehmend selbstbewussten Indern folgenlos. Die indischen Kommunisten unterstützen dieses Projekt aus ganzem Herzen.
Von Can Merey, dpa
Quelle: ntv.de