US-Wahlnotizen VII Spekulationen um einen Erdrutschsieg
13.10.2008, 22:29 UhrZum ersten Mal hat sich einer der sogenannten Experten aus der Deckung gewagt. "Das Rennen ist gelaufen", so Ed Rollins, republikanischer Wahlstratege, auf CNN. "Obama wird mit einem Erdrutschsieg gewinnen." Rollins kennt sich mit Erdrutschsiegen aus: 1984 war er Wahlkampfmanager Ronald Reagans, als dieser 49 der 50 US-Bundesstaaten für sich entschied und damit seine Präsidentschaft gegenüber Walter Mondale problemlos verteidigte.
Die Umfragen zeigen momentan eine eindeutige Tendenz. Barack Obama führt gegenüber John McCain mit komfortablem Vorsprung; die jüngste Washington Post/ABC News-Erhebung zum Beispiel sieht den Senator aus Illinois zweistellig vorn. Mit 53:43, satte zehn Prozent Unterschied also. Das sind Werte, die die beiden letzten Loser der Demokraten, Al Gore und John Kerry, nie erreichten. "Aber", warnt David Gergen, ehemaliger Präsidentschaftsberater von Nixon bis Clinton, "die Entscheidung ist noch nicht gefallen." Ein Patzer Obamas, ein Anschlag Al Kaidas: Jede sogenannte "October Surprise" könne die Stimmung noch einmal kippen lassen.
Hoffen auf Langeweile
Jeder Tag, der ohne einschneidende Veränderungen vergeht, ist also ein guter Tag für Obama. Und von dieser Sorte hatte er zuletzt viele. Die Fernsehdebatten verliefen vergleichsweise unaufgeregt; er und Joe Biden geben sich im Wahlkampf diszipliniert. Gleichzeitig liefert die Gegenseite Schlagzeilen, die nicht geeignet sind, den Trend umzukehren. Wie zum Beispiel die peinlichen Interviews Sarah Palins oder deren erwiesener Amtsmissbrauch als Gouverneurin von Alaska.
Am Schlimmsten aber trifft das McCain-Lager die Wirtschaftskrise. Seitdem geht es kontinuierlich bergab. Obama versteht es geschickt, McCcain für die Politik von George W. Bush in Sippenhaft zu nehmen – und die Wähler sehen das in der Mehrzahl ähnlich. "In wirtschaftlich schlechten Zeiten wird automatisch der Mann im Weißen Hause dafür verantwortlich gemacht", so Gergen, "und zusammen mit ihm die gesamte Partei." Auch bei den parallel stattfindenden Wahlen zum US-Kongress kündigen sich weitreichende Verschiebungen an: Die Machtbasis der Demokraten wird, Umfragen zufolge, noch ausgebaut.
Zu früh für Jubel
Dennoch hält sich das Obama-Lager auffallend zurück: kein Triumphgeheul weit und breit, kein voreiliger Optimismus. Kaum jemand wagt den Prognosen zu trauen. Wieso? Die Skepsis hat einen Namen: Tom Bradley. 1982 hatte der damalige schwarze Bürgermeister von Los Angeles bei den Gouverneurswahlen von Kalifornien in Umfragen stets weit vorne gelegen, um dann am Wahltage gegen seinen weißen Widersacher knapp zu verlieren. Seitdem spricht man vom "Bradley-Effekt." Viele Wähler geben demnach in Umfragen an, durchaus einen schwarzen Kandidaten wählen zu wollen, um dann, einsam in der Wahlkabine, sich doch für die weiße Alternative zu entscheiden.
Unzählige Wissenschaftler haben versucht, den Bradley-Effekt in Zahlen zu fassen – ohne überzeugenden Erfolg. Die jüngste Lesart geht so: Obama habe es geschafft, vor allem die schwarzen und die jungen Wähler zu mobilisieren. Jeder Bradley-Effekt, wenn es ihn noch gebe, werde also mehr als wett gemacht. "Die Zeiten haben sich geändert", schreiben Kommentatoren, räumen aber gleichzeitig ein: Wäre Obama ein Weißer, würde er längst wie der sichere Sieger gehandelt. Tatsächlich jedoch halten sich alle noch bedeckt. Bis auf Ed Rollins.
Erklärendes, Analysierendes, Kurioses, Überraschendes, Faszinierendes und Humorvolles: Christian Wilp, n-tv Washington-Korrespondent, beobachtet für n-tv.de den US-Wahlkampf 2008.
Quelle: ntv.de