Präventionspreis Stadtteilmütter für Migranten
26.11.2007, 12:10 UhrFür die meisten türkischen Frauen in ihrem Umfeld ist Hacer Deniz ein Vorbild: Sie spricht deutsch, weiß, welches Amt wofür zuständig ist und kennt sich mit dem Schulsystem aus. In einem sozialen Brennpunkt-Gebiet wie Berlin-Neukölln ist das viel wert. "Hier gibt es viele Familien, in denen kaum deutsch gesprochen wird. Das wirkt sich negativ auf die Schulbildung der Kinder aus. Auch Behördengänge und Elternabende fallen ohne Deutschkenntnisse schwer. Ich wollte helfen und bin deshalb Stadtteilmutter geworden", sagt die 31-Jährige.
Stadtteilmütter haben in der Regel einen türkischen oder arabischen Hintergrund. Sie beraten Familien ihrer eigenen Herkunftssprache in Erziehungsfragen, vor allem mit Blick auf Kinder im Vorschulalter, und informieren über Hilfsangebote im Viertel. "Stadtteilmütter helfen Familien, eigene Ressourcen zu erkennen sowie Hilfen der Umgebung kennenzulernen, um ihre Kinder frühzeitig und vielseitig zu fördern", sagt Projektleiterin Maria Macher.
Deniz ist seit 2006 in dem Pilotprojekt des Diakonischen Werks Neukölln-Oberspree tätig. "Ich bin in einem Mutter- und Kind-Kurs auf das Projekt aufmerksam geworden und habe mich sofort beworben." Seit Juni verdient die gebürtige Berlinerin ihr eigenes Geld. Einen Schulabschluss hat die Tochter türkischer Gastarbeiter nicht. "Damals gab es noch nicht solche Projekte für Migranten. Mein Vater hat immer gearbeitet, und meine Mutter konnte meinen fünf Geschwistern und mir bei den Schulaufgaben nicht helfen. Ich musste die Schule ohne einen Abschluss verlassen", bedauert sie.
Das Projekt bot ihr neue Chancen. In einem sechsmonatigen Qualifizierungskurs wurde sie ausgebildet und fing danach an, Familien zu beraten. "In dem Kurs habe ich sehr viele neue Dinge über Kindererziehung, Unfallverhütung und pädagogische Spiele gelernt. Das gebe ich jetzt weiter an die Familien in meiner Umgebung." Auch ihre eigenen Kinder profitierten von der Qualifizierung. "Ich gehe viel bewusster mit meiner Tochter und meinem Sohn um. Ich achte sehr auf ihre Ernährung und ihre Gewohnheiten. Regelmäßig gehe ich mit ihnen ins Schwimmbad und mache Fahrradtouren mit ihnen."
Jede Stadtteilmutter besucht mindestens zwei Familien pro Monat. "Ich spreche Frauen in meinem Freundes- und Bekanntenkreis an und stelle ihnen das Projekt vor. Bei Interesse besuche ich sie dann regelmäßig", sagt Deniz. Für zehn Sitzungen erhält sie 180 Euro. Die Finanzierung des Projekts, das in diesem Jahr mit dem Berliner Präventionspreis ausgezeichnet wurde, teilen sich der Bezirk Neukölln und die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Der Bund fördert das Projekt über das Programm "Soziale Stadt", das Teil des "Nationalen Integrationsplans" ist.
"Zurzeit haben wir etwa 80 Stadtteilmütter, weitere 70 befinden sich in der Ausbildung. Viele werden über Mundpropaganda auf uns aufmerksam und wollen entweder auch zu Stadtteilmüttern ausgebildet werden oder wünschen sich Beratung", sagt Maria Macher. Für Deniz ist es auch ein ganz persönlicher Erfolg. "Ich bin sehr stolz, weil ich sagen kann, dass ich eine Arbeit habe. Auch meine Familie ist stolz auf mich, weil ich für viele Frauen inzwischen ein Vorbild bin. Das bestärkt mich, weiterzumachen."
Das Projekt ist zunächst bis 2008 finanziert. Deniz hofft, dass die Projektdauer verlängert wird und möglichst auch in anderen deutschen Städten startet. "Es ist sehr wichtig, dass wir Migranten erreichen und sie über ihre Rechte und Pflichten aufklären, ohne sie zu bevormunden. Nur so kann Integration funktionieren."
Funda Erler, dpa
Quelle: ntv.de