Dossier

US-Wahlnotizen VI Statistisches Unentschieden

Mein äthiopischer Taxifahrer war sich absolut sicher. "Ein Schwarzer", sagte er, "hat in diesem Land keine Chance, Präsident zu werden." Die Verwandte aus Chicago hegt ebenfalls keinerlei Zweifel. "Ich kann mir nicht vorstellen, John McCain vier Jahre lang im Fernsehen zu ertragen." Zwei Meinungen, eine Botschaft: Die USA präsentieren sich auch bei den Präsidentschaftswahlen 2008 als zerrissenes Land. Neueste Umfragen zeigen ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen den Kandidaten. Der einstmals stolze Vorsprung Barack Obamas liegt nunmehr innerhalb der statistischen Fehlerquote bei weniger als drei Prozent.

Eine drohende Rezession, ein ungelöster Krieg, ein unpopulärer Präsident: "Eigentlich müsste Barack Obama ins Weiße Haus segeln", so CNN-Kommentator Bill Schneider. Die Realität sieht anders aus. Vietnamkriegs-Veteran John McCain hat offenbar die Vorwahlen der Demokraten genau studiert und seine Konsequenzen gezogen. Anders als Hillary legt er von Anfang an jede Zurückhaltung ab und attackiert Obama als zu unerfahren, naiv und substanzlos. Die Wahlkampf-Spots, in denen Obama in Verbindung gebracht wird mit Britney Spears und Paris Hilton, haben ihre Wirkung nicht verfehlt. Obama mag einen gewissen Star-Appeal besitzen, so die Botschaft, aber für das Weiße Haus ist er nicht reif.

Obama fehlt das Angriffs-Gen

Die Konterattacken fallen insgesamt lahm aus. "Obama fehlt das Angriffs-Gen", doziert David Gergen, Berater der Präsidenten von Reagan bis Clinton. Umso wichtiger erscheint ein Vizekandidat, der die Rolle des Wadenbeißers übernimmt - und gleichzeitig jene Erfahrung mitbringt, an der es dem Spitzenkandidaten offenkundig mangelt. Virginias Gouverneur Tim Kaine scheint deshalb ebenso aus dem Rennen zu sein wie Kathleen Sebelius, die Gouverneurin von Kansas. Heiß gehandelt wird hingegen Joseph Biden, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses, dessen zuweilen lockere Zunge jedoch als Risiko gilt. Der Senator und ehemalige Gouverneur Evan Bayh aus Indiana, lange Zeit Topfavorit für den Vizeposten, könnte zwar seinen Swing State ins Lager der Demokraten führen, hat aber ebenfalls den Makel, zu versöhnlich und - für manche Geschmäcker - zu telegen zu wirken. "Im Grunde haben wir alle keine Ahnung", räumt Schneider ein, der Spekulationen selbst über John Kerry, Al Gore und Hillary Clinton nicht grundsätzlich für Spinnereien hält. "Je größer der Druck auf Obama lastet, desto bessere Chancen besitzen solche Lösungen."

Völlig gelöst gibt sich derzeit John McCain. Der Senior, von vielen lange als Verlegenheitskandidat verspottet, hat offenkundig Spaß an dem Wahlkampf gewonnen und gefällt sich in der Rolle als Retter der Autofahrer. Laut McCain müsse das Ölbohrmoratorium vor den US-Küsten aufgehoben werden, und schon sinke die Abhängigkeit von den Golfstaaten - und der Preis an der Zapfsäule. Jeder Analyst hält das für eine Mär. Frühestens in etwa zehn Jahren flössen die ersten Tropfen aus den neuen Quellen. Aber bei den Wählern kommt die frohe Nachricht gut an. Zwei Drittel der Amerikaner befürworten inzwischen Bohrtürme vor heimischen Gestaden. Angesichts dieser Werte knickt nun Obama ein - und will jeden Einzelfall gerne überprüfen. "Ich wünschte mir einen Kandidaten", so der Humorist Bill Maher ausnahmsweise ernsthaft, "der zu seinen Überzeugungen auch bei etwas Gegenwind noch steht."

Rätselraten um Vizekandidaten

Während die Strahlkraft Obamas erste Eintrübungen zu verzeichnen hat, kann John McCain in Ruhe den Parteitag der Demokraten verfolgen, um anschließend seinen eigenen Vize vorzustellen. Die Kandidatenliste fällt bei den Republikanern vergleichweise übersichtlich aus. Ex-Gouverneur Mitt Romney, in den Vorwahlen erbitterter Widersacher McCains, macht seinem Flip-Flop-Image alle Ehren und gibt sich nun als größter Unterstützer. Ebenfalls gehandelt wird Tim Pawlenty, der Gouverneur von Minnesota. Letzterer gilt zwar als weitgehend unbekannte Größe, hat aber den Vorteil, mit McCain gut klar zu kommen. Diese Eigenschaft teilt er mit Tom Ridge, dem ehemaligen Chef des Heimatschutzministeriums, und mit dem flexiblen Demokraten und Ex-Vizekandidaten Joe Lieberman. Ridge und Lieberman werden aber wegen ihrer liberalen Haltung zum Thema Abtreibung allenfalls Außenseiterchancen eingeräumt.

Am Ende, sagen altgediente Wahlbeobachter wie zum Trost, kommt es auf den Vize sowieso kaum an. Die Wähler entschieden allein zwischen den Top-Kandidaten. Und diese machen es äußerst spannend.

Erklärendes, Analysierendes, Kurioses, Überraschendes, Faszinierendes und Humorvolles: Christian Wilp, n-tv Washington-Korrespondent, beobachtet für n-tv.de den US-Wahlkampf 2008.

Quelle: ntv.de

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