Dossier

Der Raketenabwehrschild Streit um eine Vision

"Der Raketenschild ist gegen kein 'normales' Land gerichtet", sagte der polnische Regierungschef Jaroslaw Kaczynski unlängst in Warschau. Viele seiner Zuhörer werden sich gefragt haben, was der Ministerpräsident damit genau meinte. Etwa die so genannte Schurkenstaaten, wie Iran oder Nordkorea, oder meinte er vielleicht gar nichts – hatte er nur eine Vision?

Noch ist völlig unklar, wer die Gegner der Zukunft seien werden. Unbestritten ist, dass es bald eine dritte Großmacht geben wird: China. Im strategischen Denken der USA spielt China schon lange eine zentrale Rolle. Oder besser noch: Russland und China. Ebenso richtet sich der umstrittene Raketenabwehrschild der USA gegen Raketen, die es zur Zeit noch gar nicht gibt. Alles Science-Fiction und genauso unklar, wie es vielleicht auch im Iran und Nordkorea niemals ballistische Raketen mit einer Reichweite von 5.000 Kilometer geben wird. Für die die USA geht es zur Stunde lediglich darum, sich schon jetzt den technologischen Vorsprung für die Konkurrenz der Zukunft zu sichern.

Ein Tauschgeschäft

Warum also die ganze Aufregung, das politische Gezerre, um den Raketenabwehrschild, den die Amerikaner jetzt nahe der russischen Grenze in Polen und Tschechien aufbauen wollen? Die Regierungen in Warschau und Prag haben bereits zugestimmt. "Wir waren uns über die Stationierung einig", sagten der tschechische Ministerpräsident Mirek Topolanek und sein polnischer Kollege Kaczynski. Geheimnisvoll sprechen beide von einem "Multi-Milliarden-Dollar-Projekt" und können konkreter nicht werden.

Kaczynski ist jedenfalls überzeugt davon, dass sein Land durch den Antiraketenschild sicherer werden wird. Zudem denkt der Pole auch an ein Tauschgeschäft: Für das Ja zum Raketenschild gibt es von den Amerikanern kostenlose Patriot-Raketen oder gar die moderneren THAAD.

Russen ohne Einflussgebiet

Russland sieht dagegen durch die geplante Stationierung von Teilen des Systems in früheren Ostblockstaaten das Rüstungsgleichgewicht zwischen den Atomgroßmächten gefährdet und rasselt seinerseits mit dem Säbel: Der Kommandeur der strategischen Raketentruppe Russlands, General Nikolai Solowzow, wies daraufhin, dass seine Verbände im Stande seien, Objekte des amerikanischen Systems zu zerstören. Damit malt Moskau ganz bewusst das Gespenst des Kalten Krieges an die Wand.

Die Russen müssen zusehen, wie das alte Einflussgebiet der Sowjetunion mehr und mehr zerbröselt. Moskau hatte sich lange gegen die Souveränität der baltischen Republiken gesträubt. Es kämpft um seinen Einfluss in Weißrussland und der Ukraine, setzt seine Gas- und Öllieferungen als Waffe ein und hat damit schließlich auch einen gewissen Erfolg. Und: Russland will die Zusammenarbeit mit dem Westen nicht aufgeben.

Alles nur Geschacher

Ganz offenbar geht es in der jüngsten amerikanisch-russischen Auseinandersetzung darum, wie sich beide Mächte positionieren wollen. Die Amerikaner werden dabei die Rolle der globalen Supermacht spielen wollen und Russen wollen ihr Gesicht wahren und weiter als verlässlicher Partner gelten. Es geht jetzt darum, ein neues Gleichgewicht zu finden. Der Aufbau neuer Gefahrenpotenziale – auch wenn es nur Visionen sind – dient am Ende lediglich dafür, mit optimalen Voraussetzungen in die Verhandlungen zu gehen.

Und am Ende sind auch die Russen nicht grundsätzlich gegen einen Abwehrschild. Sie selbst haben der EU angeboten, eine Raketenabwehr für sie zu bauen. Damit hätte Moskau die EU unter ihre wärmenden Fittiche genommen.

Quelle: ntv.de

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