Hintergrund Szenarien der EU-Vertragskrise
10.12.2008, 11:45 UhrDer im Dezember 2007 in Lissabon unterzeichnete EU-Reformvertrag wird nicht wie geplant im Frühjahr 2009 ratifiziert sein. Daran besteht angesichts des gescheiterten Referendums in Irland vom Juni 2008 und Unsicherheiten um die Ratifizierung in Polen und Tschechien in der Europäischen Union kein Zweifel mehr.
Das bedeutet, dass bei der nächsten Wahl des Europaparlaments im Juni mit Sicherheit noch der 2000 beschlossene "Nizza-Vertrag" gilt. Das Parlament wird dann nur noch 736 statt derzeit 785 Abgeordnete haben. Der "Lissabon-Vertrag" hätte 751 Abgeordnetenmandate vorgesehen.
Sollte die irische Regierung ein neues Referendum über den "Lissabon-Vertrag" ansetzen, so würde dies voraussichtlich mit "Klarstellungen" der EU über die Achtung der irischen Neutralität, der Abtreibungsgesetzgebung in Irland und der Souveränität der Steuerpolitik begründet. Beim EU-Gipfel wird ein Zeitplan von Regierungschef Brian Cowen erwartet. Nach Informationen aus Regierungskreisen in Berlin ist der Oktober 2009 für ein zweites Referendum im Gespräch.
Normalerweise wird nach der Wahl des Europaparlaments eine neue EU-Kommission gebildet, die zum 1. November die Arbeit aufnimmt. Sollte das irische Referendum erfolgreich und die Ratifizierung auch in allen anderen Ländern abgeschlossen sein, so könnte die neue EU- Kommission theoretisch "in letzter Minute" nach den Regeln des "Lissabon-Vertrags" bestellt werden. Dies würde bedeuten, dass zunächst jedes Land weiterhin einen Kommissar stellt und die Zahl der Kommissare ab 2014 auf zwei Drittel der Zahl der Mitgliedstaaten verringert werden muss. Allerdings könnten die Staats- und Regierungschefs einstimmig beschließen, dass die Verringerung nicht erfolgt - vorausgesetzt, "Lissabon" tritt zuvor in Kraft.
Wird nicht vor Ende Oktober ratifiziert, so muss die neue Kommission nach dem "Nizza-Vertrag" jedoch mindestens einen Kommissar weniger haben als es Mitgliedstaaten gibt: Also höchstens 26 Kommissare für 27 Staaten. Die Frage, wer auf einen Kommissar verzichten muss, dürfte sehr umstritten sein. Als mögliche Übergangslösung gilt, dass das Land, das den EU-Außenbeauftragten stellt - derzeit Spanien mit Javier Solana - keinen Kommissar mehr bekommt. Der EU-Chefdiplomat würde dann "informell" an den Kommissionssitzungen teilnehmen.
Bisher ist jedoch keinesfalls sicher, dass das Europaparlament und die EU-Regierungen mit einer Regelung der wichtigen Personalfragen bis zum Oktober wirklich einverstanden sind.
Quelle: ntv.de