Peshawar im Griff der Angst Taliban kennt keine Gnade
16.07.2008, 08:19 UhrFarhadullah ist Tontechniker der Band "Shabir Hamahang", und er ist der letzte der Gruppe, der in Peshawar die Stellung hält. "Musik-Büro Shabir Hamahang" stand noch bis zum Vortag auf dem Schaufenster des kleinen Bandbüros in der Hauptstadt der pakistanischen Nordwest-Grenzprovinz. Dann hat Farhadullah das Wort "Musik" aus dem Schriftzug weggekratzt. Für die Taliban kommt Unterhaltungsmusik einer Sünde gleich, und für Sünder kennen sie keine Gnade. Die Bandmitglieder sind, wie inzwischen die meisten Musiker in Peshawar, ausgerechnet nach Kabul geflohen. In Kabul, sagt Farhadullah, sei es für die Band lukrativer - und sicherer.
Nicht nur die Musiker, die meisten Menschen in Peshawar hat die fortschreitende "Talibanisierung" der Region in Angst und Schrecken versetzt. Die pakistanischen Taliban und andere Extremisten haben ihren Einflussbereich in der Nordwest-Grenzprovinz rund um Peshawar dramatisch ausgedehnt. Kabelbetreiber in der Garnisonsstadt Kohat strahlen nach Aufforderungen der Taliban nur noch Nachrichten- und islamische Sender aus, Film- und Musikkanäle sind aus dem Netz verbannt. Friseure im Distrikt Dir bieten nach Drohbriefen keine Rasur und kein Stutzen des Bartes mehr an. Im Swat-Tal wurden etliche Mädchenschulen niedergebrannt. Dort und in den Stammesgebieten an der afghanischen Grenze sind ganze Regionen unter Taliban-Kontrolle.
Polizei kann nicht helfen
Ihre wachsende Macht zeigt sich auch in Peshawar selber. Farhadullah sagt, noch vor zwei Jahren habe seine Band jeden zweiten, manchmal jeden Abend auf Hochzeiten gespielt. "Dieses Jahr haben wir große Verluste. Wir werden nicht mehr eingeladen zu spielen", klagt der 30-Jährige. "Morgen haben wir unseren ersten Auftritt in Peshawar seit 20 Tagen." Davor werden die Musiker sich auf die Tagesreise von Kabul über Dschalalabad und den Khyber-Pass in ihre alte Heimat machen. Erst am Morgen nach der Hochzeit, bei der Rückfahrt, werde die Band die Instrumente wieder abholen. "Denn wenn sie (die Taliban) uns nachts auf der Straße mit Instrumenten stoppen, werden sie uns nicht verschonen." Die verängstigte Polizei biete keinen Schutz mehr.
In einer Art vorauseilendem Gehorsam wirken die Beamten manchmal selber wie die Religionspolizei der Taliban. Nachts um 1.00 Uhr klopft es, grußlos stürmt ein Polizist mit Kalaschnikow ins Hotelzimmer, er durchsucht auch das Bad. Die Polizei kontrolliere, ob Gäste Damenbesuch hätten, sagt ein Hotelangestellter entschuldigend. An der Zimmertür sind die Hausregeln angebracht, Vorschrift Nummer drei besagt: "Unmoralische Aktivitäten sind streng verboten."
Propanganda statt Pornos
Auf dem Schmuggler-Basar genannten Karkhanno-Markt am Stadtrand, hinter dem die Stammesgebiete liegen, haben sich die Händler den neuen Verhältnissen angepasst. Noch im vergangenen Jahr boten Marktstände offen Pornos an, die weit weniger profitablen Dschihad-Filme wurden unterm Tresen gehandelt. Inzwischen liegen Propaganda-DVDs aus Afghanistan, Tschetschenien, Irak und nicht zuletzt aus Pakistan selber in der Auslage, auf denen unter anderem Hinrichtungen von Soldaten gezeigt werden. Sexfilme sind keine mehr zu sehen. Mit einem Bombenanschlag auf einen der Stände im Frühjahr haben die Taliban ihren Drohbriefen Nachdruck verliehen. Mitten in Peshawar erzählen Inhaber von Filmgeschäften, Versicherungen weigerten sich inzwischen, ihre Läden zu versichern.
Die Bedrohung ist schlecht fürs Geschäft. Ein Ladenbesitzer, der auf dem Karkhanno-Markt geschmuggelte Fernseher verkauft, zeigt seine Bücher vor: Seit Tagen kam kein Kunde mehr. Käufer aus anderen Landesteilen, die früher zu Tausenden auf den Basar strömten, trauen sich nicht mehr dorthin. "Wir haben keinen Seelenfrieden mehr. Wir machen Verluste, die Sicherheitslage wird schlechter, wir haben Angst vor Entführungen und vor den Taliban", sagt der Händler, der seinen Namen nicht gedruckt sehen will. "Ich bin ein stolzer Moslem. Aber der Islam ist eine Religion des Friedens und nicht des Krieges. Die Taliban sind Kriminelle, keine Muslime."
Bürgerkrieg befürchtet
Manche Sicherheitsexperten halten eine Belagerung Peshawars durch die Taliban für möglich, was den NATO-Truppen ihre wichtigste Überland-Nachschubroute für Afghanistan abschneiden könnte. Andere schließen nicht aus, dass Peshawar möglicherweise an die Extremisten fällt - zumindest vorübergehend. "Es könnte passieren", sagt der frühere Regierungssekretär für die Stammesgebiete, Mehmood Shah. Dann käme es "zu einer Art Bürgerkrieg", befürchtet der Ex-Brigadegeneral. Die gebildeten Menschen in der Stadt würden sich der Gewaltherrschaft nicht beugen. Aus Protest gegen die inkonsequente Politik der Zentralregierung, die abwechselnd mit den Extremisten verhandelt oder sie bombardiert, hat Shah seinen Sekretärsposten 2005 aufgegeben.
Der Wissenschaftsminister der Provinzregierung, Ayub Khan, ist in seiner Heimat im Swat-Tal vor wenigen Monaten einem Anschlag der Taliban entgangen - anders als zwei seiner Cousins, die getötet wurden. Er warnt, das Problem könnte sich weit über die Grenzen der Nordwest-Grenzprovinz ausdehnen. "Wenn wir in diesem Feuer verbrennen", sagt der Minister, "dann werden auch die Menschen in Islamabad und Lahore nicht mehr sicher sein."
Can Merey, dpa
Quelle: ntv.de