Geliebte Megastadt Teheran außer Kontrolle
25.09.2007, 09:18 UhrDer Ballungsraum der iranischen Hauptstadt Teheran ist mit rund 18.600 Quadratkilometern zwar riesig, für die mehr als 13 Millionen Einwohner aber doch zu klein. Vor der Islamischen Revolution von 1979 lebten weniger als vier Millionen Menschen in Teheran, nun sind es mehr als drei Mal so viele. In den vergangenen drei Jahrzehnten wurden viele Straßen aus- und neue Schnellstraßen hinzugebaut, Millionen Autos, Taxen und Busse sorgen aber dennoch für Lärm, Dreck und Dauerstau.
Das rasante Bevölkerungswachstum hat vielfältige Gründe. "Teheran ist eine besonders stark wirksame Megacity", erklärt Andreas Dittmann, Professor für Humangeographie an der Universität Gießen. Alle Verwaltungsaufgaben seien in der Hauptstadt konzentriert, die wichtigsten Ausbildungsstätten liegen dort, alle großen Verkehrswege zu Lande und in der Luft führen über diese Stadt. In wirtschaftlicher Hinsicht sei es kaum anders: "Alles, was sich die Händler im Land im Großhandel verschaffen wollen, läuft über Teheran."
Kaum auszuhalten
Dreck und Lärm scheinen in der Folge kaum mehr auszuhalten. "Man wundert sich immer über die große Leidensfähigkeit der Menschen", sagt Dittmann. "Das Wachsen und das Bauen geht schneller als die planmäßige Erschließung." Eine schlechte Trinkwasser- und Abwassersituation sei die Folge. "Eins der größten ungelösten Probleme ist aber der große Anteil an nicht erdbebentauglichen Hochhäusern."
Ein viel greifbareres Problem aber bleibt für die Menschen das tägliche Verkehrschaos. Weil die meisten Teheraner es mit den Verkehrsregeln nicht so ernst nehmen, kommt es ständig zu minutenlangen Hupkonzerten. "Ich weiß nur, wann ich losfahre. Wann ich aber ankomme? Nur Allah weiß das", sagt Ali, einer von Millionen frustrierten Autofahrern in Teheran.
Radikale Maßnahmen
Um die Lage in den Griff zu bekommen, gibt es seit Jahren eine Verkehrsmaut. Nur Taxis, Busse sowie Ärzte, Funktionäre und Journalisten dürfen in das Teheraner Geschäftsviertel fahren. Die Luftverschmutzung, verursacht von alten Fahrzeugen, erreicht dennoch immer wieder gefährliche Dimensionen. Mehrmals mussten deswegen Schulen geschlossen werden. Um das Dilemma zu beenden, griff der iranische Präsident Mahmoud Ahmadinedschad kürzlich zu einer radikalen Maßnahme: Er rationierte vom 27. Juli an das Benzin. Die öffentlichen Verkehrsmittel reichen nun aber bei weitem nicht aus, um all die neue Kundschaft zu transportieren.
Für Querelen sorgt auch der große Anteil sehr junger Menschen in der Stadt. "Teheran ist eine der jüngsten Megacitys", erklärt Dittmann. Über 70 Prozent der Iraner sind noch keine 30 Jahre alt. Wegen der herrschenden islamischen Gesetze dürfen Jungen und Mädchen nicht zusammen ausgehen, sonst droht ihnen Verhaftungen durch die Sittenpolizei und heftige Geldstrafen. Einzige Alternative sind daher Spritztouren, bei denen die Jungen in einem Auto den Mädchen im anderen Wagen hinterher rasen.
Der hohe Anteil Jugendlicher hat aber auch positive Folgen: "Es gibt ein beeindruckendes, faszinierendes Nebeneinander von traditionellen Strukturen und modernen." Obwohl es Supermärkte gebe, gehöre für viele auch der Gang zum Basar zum Alltag. "Was einem immer auffällt, ist, dass es eine ungeheuer offene und für Ausländer freundliche Stadt ist", sagt Dittmann, der mit Studenten regelmäßig zu Exkursionen nach Teheran fährt.
Ausufernde Metropole
Das rasche Wachstum der Stadt war und ist ein Garant für schnelles Geld - vor allem bei Bauherren. Viele Villen und Häuser mit Gartenanlagen wurden in den vergangenen Jahrzehnten zerstört und, nach amerikanischem Muster, zu riesigen Wohnkomplexen umgebaut. Zudem greife die Megacity immer weiter aufs Umland über, sagt Dittmann. Spekulanten kauften Land auf, reiche Hauptstädter errichteten Wochenendhäuser und touristische Ausflugsziele. "Bis 40 bis 50 Kilometer nördlich von Teheran wird die ländliche Bevölkerung aus ihren Lebensverhältnissen gerissen." Die Ausläufer der Metropole reichten inzwischen bis zum Kaspischen Meer.
Der Zuneigung ihrer Bewohner kann sich die Stadt trotz aller Widrigkeiten sicher sein. "Wir verbinden mit der "Megacity" Negatives, aus der Perspektive der dort Lebenden stellt Teheran aber eine Traumstadt dar", erklärt Dittmann. Dort gebe es Ausbildung und Arbeit - und damit Planungssicherheit für das eigene Leben. Weg will aus der chaotischen Hauptstadt deshalb niemand. Auch die in den vergangenen zwei Jahren astronomisch gestiegenen Preise werden in Kauf genommen - Außerhalb, in den Provinzen in der Landwirtschaft eine Existenz aufzubauen, ist für die meisten keine Alternative.
Von Farshid Motahari und Burkhard Fraune, dpa
Quelle: ntv.de