"Es ist ein Klassenkampf" Thailand in der Krise
31.08.2008, 13:39 UhrJunge und alte Thailänder proben in Bangkok mit selbst gemachten Schlagstöcken den Aufstand, Polizisten prügeln auf Demonstranten ein, ein Anführer droht offen, die Polizeiwachen in Brand zu stecken. Touristen sehen entsetzt mit an, wie ein Mob im Ferienparadies Phuket den Flughafen stürmt und Fensterscheiben einschlägt. Chaos im "Land des Lächelns", dessen Buddhisten eigentlich Genügsamkeit und Harmonie predigen. Die gewählte Regierung ist machtlos. Es droht ein Putsch - der 20. seit dem Ende der absoluten Monarchie 1932.
Die Aufrührer, die seit Mai mit Protestkundgebungen die Stimmung im Land anheizen und seit fast einer Woche den Regierungssitz in Bangkok besetzt halten, sind oppositionelle Unternehmer, Akademiker und Aktivisten. Weil die Opposition im Parlament nichts gegen die Regierungskoalition aus sechs Parteien ausrichten können, schüren sie einen Volksaufstand. Vor zwei Jahren hatten sie als loses Oppositionsbündnis "Volksallianz für Demokratie" (PAD) damit Erfolg: Sie orchestrierten die Proteste, die im September 2006 zum Sturz des bei den Armen höchst populären Regierungschefs Thaksin Shinawatra führten. Ihr Zorn gilt nun dem jetzigen Regierungschef Samak Sundaravej, den sie für einen Strohmann Thaksins halten, der im Verborgenen eine Rückkehr an die Macht plane.
"Er kontrolliert alles"
Thaksin hatte das Land in seiner Amtszeit seit 2001 wie kaum einer vor ihm tief gespalten: hier die urbane, konservative Elite in Bangkok, die verwandt und verschwägert und gut vernetzt mit Militär und Königsfamilie seit Jahrzehnten das Sagen hat, dort die armen Massen, die Thaksin mit billigen Krediten und billiger ärztlicher Versorgung für sich einnahm. Die Eliten fürchteten um ihre Pfründe. Die Opposition warf Thaksin Korruption und Machtmissbrauch vor, und das Bestreben, den verehrten König in der Gunst des Volkes abzulösen.
"Dies ist ein Klassenkampf", sagt eine Frau in Bangkok aus besten Kreisen, die sich von ihrer Klasse losgesagt hat und gegen das Establishment opponiert. Sie kritisiert den Machtapparat um den König. "Er kontrolliert alles", warnt die Frau, die eine Verschwörung gegen das einfache Volk sieht. Sie redet nur im Verborgenen, denn was sie sagt, ist gefährlich: Die Gesetze gegen Majestätsbeleidigung sorgen mit drakonische Strafen für jedes kritische Wort gegen den König dafür, dass jeder den Mund hält - zumindest öffentlich.
Klar ist, dass die Aufrührer der Proteste beste Verbindungen zu Militär und Royalisten haben. Manche der Autos, die die Demonstranten in Bangkok mit Essen und Decken versorgen, hätten Kennzeichen des königlichen Haushalts, sagt die Kritikerin. Der Armeechef hat die Forderung des unter Druck geratenen Regierungschefs nach Verhängung des Ausnahmezustands zurückgewiesen und ihm stattdessen den Rücktritt nahegelegt. Es sieht nach einem Stillhalteabkommen aus: Die Regierung lässt die Demonstranten in Ruhe, das Militär greift nicht ein. "Ein Putsch würde dem Image des Landes schaden und die Situation nur verschlimmern", sagte Armeechef Anupong Paochinda.
"Demokratie" im alten Stil
Der Wahlsieg von Samak war ein Schlag ins Gesicht für das Oppositionsbündnis PAD. Er machte offen Wahlkampf als Thaksins Mann. Seine Partei besteht aus lauter Thaksin-Sympathisanten. Damit wurde der erfolgreiche Aufstand 2006 gegen das Thaksin-Regime in den Augen der PAD praktisch revidiert. Der PAD sind die armen Massen, die Thaksin und Samak wählten, nicht geheuer. Sie will "Demokratie" im alten Stil, mit einem Drittel ernannter statt gewählter Abgeordneten und einer starken Rolle für das Militär.
"Wenn es der PAD gelingt, Samak zu stürzen, ist das ein schwerer Schlag für die Demokratie", sagt Politologe Thitinan Pongsudhirak. "Es wäre der krönende Erfolg einer rechten, konservativen Gruppe, die gegen demokratische Wahlen ist."
Christiane Oelrich, dpa
Quelle: ntv.de