Dossier

Wohnen am Werkstor? Urteil über Pendlerpauschale

Wer am 9. Dezember auf ein vorweihnachtliches Geschenk aus Karlsruhe hofft, könnte enttäuscht werden. Zwar verkündet das Bundesverfassungsgericht an diesem Tag sein Urteil zur weitgehenden Abschaffung der Pendlerpauschale - und in der Anhörung im September waren von der Richterbank durchaus skeptische Töne zu hören. Doch auf dem Prüfstand stehen allein die seit 2007 geltenden Vorschriften: "Wir entscheiden nicht, ob die alte Pendlerpauschale wieder eingeführt werden muss oder soll", hatte Andreas Voßkuhle, Vizepräsident des Gerichts, klargestellt.

Der politische Streit um die steuerliche Absetzbarkeit der Fahrten zum Arbeitsplatz könnte also nach dem Karlsruher Spruch wieder aufleben. Gerade hat die CDU entsprechenden Vorstößen aus der bayerischen Schwesterpartei eine Absage erteilt: Beim jüngsten Parteitag wurden zwei Anträge auf Rückkehr zur alten Pauschale mit großer Mehrheit abgelehnt.

Staat spart mit neuer Pendlerpauschale Milliarden

Seit dem 1. Januar 2007 kommen nur noch Fernpendler in den Genuss der Pauschale. Erst ab dem 21. Entfernungskilometer sind 30 Cent pro Kilometer absetzbar. 2,5 Milliarden Euro spart der Staat damit - ein Posten auf der Habenseite von Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD), den er angesichts neuer Lasten gut gebrauchen kann. Steinbrück pochte in der Anhörung darauf, dass ein etwaiger Steuerbonus für Pendler jedenfalls nicht aus dem Grundgesetz herauszulesen sei - ein "Grundrecht auf Entfernungspauschale" sei dort nicht zu finden.

Damit dürfte der Minister Recht haben - und doch hat er damit die Einwände der Gegner noch nicht entkräftet. Denn Prozess entscheidend wird nicht etwa ein "Grundrecht auf Entfernungspauschale" sein, sondern die Frage, ob das Grundkonzept des Steuergesetzgebers schlüssig ist. "Folgerichtig", wie die Juristen sagen.

Fahrkosten sind Privatsache

Dieses Grundkonzept heißt bei der weitgehenden Streichung der Pendlerpauschale "Werkstorprinzip": Die Arbeit beginnt am Werkstor, Fahrtkosten sind damit Privatsache. Sagt der Gesetzgeber - macht dann aber doch wieder eine Ausnahme für Fernpendler, die eben doch ein paar Kilometer absetzen dürfen. Ist das "folgerichtig"? An seiner steuerrechtlichen Grundentscheidung müsse sich der Gesetzgeber messen lassen, entschieden vor Jahren die Verfassungsrichter.

Ist es wirklich "folgerichtig", wenn "Werbungskosten" aller Art steuerlich absetzbar sind, weil sie für die Arbeit notwendig sind, andererseits aber die Fahrten zum Arbeitsplatz weitgehend Privatsache bleiben? Bei VW in Wolfsburg könne schon "aus Rechtsgründen" niemand am Werkstor wohnen, weil dort ein Industrie- und kein Wohngebiet sei, frotzelte Lerke Osterloh, federführende Richterin in dem Verfahren.

Aussichten auf ein Lösungsmodell

Osterloh ließ in der Verhandlung sogar ein Lösungsmodell anklingen, das die geltende Regelung auf den Kopf stellen würde. Denkbar wäre, Fahrtkosten grundsätzlich als "beruflich veranlasst" anzusehen und damit steuerlich abzugsfähig zu machen. Bei der Höhe des Kilometerbetrags, so die Richterin, könnte man jedoch berücksichtigen, dass der Arbeitnehmer zumindest teilweise selbst für die Höhe seiner Fahrtkosten verantwortlich ist - weil die Wahl des Wohnorts Privatsache ist. Womit die Pauschale - wenn auch gekürzt - wieder ab Kilometer eins gelten könnte.

Doch dafür müsste Osterloh weitere vier der acht Richter auf ihre Seite ziehen - im streitlustigen Zweiten Senat keine ganz einfache Aufgabe. Außerdem: Karlsruhe könnte zwar ein Lösungsmodell vorschlagen - ob es umgesetzt würde, wäre wohl der politischen Entscheidung des Gesetzgebers überlassen. Zudem wären damit weitere Prozesse vorgezeichnet: Der Bund der Steuerzahler hält schon den Kilometerbetrag von 30 Cent für nicht realitätsgerecht, eine weitere Kürzung würde wohl erneut vor Gericht angegriffen.

Rechtsanwalt Ralf Thesing, der einen der Kläger vor dem Bundesfinanzhof vertreten hat, hofft auf ein klärendes Wort aus Karlsruhe - und zwar über die Pendlerpauschale hinaus. Denn auch anderswo gebe es Tendenzen, berufsnotwendige Aufwendungen nicht mehr vollständig zum steuerlichen Abzug zuzulassen. "Die Frage ist: Hängen wir am Büttel des Steuergesetzgebers?"

Wolfgang Janisch, dpa

Quelle: ntv.de

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