Pflichtversicherte und der Streik Verbände fürchten Nachteile
15.05.2006, 14:23 UhrDurch die Streiks der Klinikärzte sind nach Einschätzung von Versichertenverbänden in besonderem Maße gesetzlich Krankenversicherte im Nachteil. "Man kann nicht ausschließen, dass ein Privatpatient bevorzugt als Notfall behandelt wird", sagte der Präsident der Gesellschaft für Versicherte und Patienten, Wolfram Candidus, der Nachrichtenagentur Reuters in Berlin. Schon jetzt sei es so, dass Privatversicherte wegen des 2,8-fachen Honorarsatzes schneller behandelt würden. Angesetzte Operationen würden im Alltag des öfteren verschoben, wenn ein Privatpatient mit akuten Beschwerden dazwischen komme.
Auch der Präsident des Verbands der Krankenversicherten Deutschlands, Heinz Windisch, sagte: "Ich glaube schon, dass die Verwaltungen der Kliniken versuchen werden, Privatpatienten vorzuziehen." Es sei letztlich kein Geheimnis, dass Privatversicherte schon jetzt bevorzugt behandelt würden. Vor einem solchen Vorgehen könne er die Kliniken jedoch nur warnen.
Laut Candidus besteht durch die andauernden Ärztestreiks insgesamt die Gefahr, dass Behandlungen zu weit aufgeschoben werden. Da bisher nur Unikliniken und Landeskrankenhäuser betroffen seien, könnten Patienten aber noch auf andere Hospitäler ausweichen, etwa auf kommunale Einrichtungen. "Es gibt jedoch bestimmte Schwierigkeitsgrade einer Behandlung, die nur von Unikliniken durchgeführt werden können", sagte Candidus. Zudem entstünden zusätzliche Wartezeiten, wenn sich der Kranke bei einer anderen Klinik anmelde. Hier seien Pflichtversicherte ebenfalls im Nachteil, da für Privatpatienten in der Regel viel früher ein Termin frei sei. Für die Patienten sei es zudem schwierig herauszufinden, welche Klinik in seinem Fall als Alternative in Frage komme.
Versichertenvertreter Windisch rät allen Kranken, sich stets eine zweite Meinung einzuholen, ob die Verschiebung einer Operation gerechtfertigt ist. Bei seiner Organisation häuften sich derzeit die Nachfragen besorgter und ratloser Patienten. "Es ist jetzt ein Punkt bei den Streiks erreicht, der sich zum Nachteil der Patienten auswirkt. " Vor allem die psychische Belastung für die Patienten sei enorm.
Candidus nannte es bedauerlich, dass es überhaupt zur Eskalation des Streiks gekommen sei, weil sich die Ärztegewerkschaft und die Länder-Tarifgemeinschaft nicht hatten einigen können. In den zurückliegenden zwanzig Jahren seien wichtige Strukturreformen nicht vorgenommen worden und eine Umstellung auf eine vernünftige Bezahlung der Mediziner und Pflegekräfte sei nicht erfolgt. Zudem hätten sich die Ärzte an Unikliniken zu sehr als Einzelunternehmen gesehen und hätten "kaum gesamtunternehmerisches Denken" an den Tag gelegt.
Der Sprecher des Marburger Bundes, Athanasios Drougias, verwies auf die Notfallvereinbarungen zwischen den Ärzten und den Klinikträgern vor Ort. Ob eine Operation aufgeschoben werden könne, werde allein nach medizinischen Kriterien entschieden und nicht nach dem Versicherungsstatus. Die Mediziner legten die Notfallverträge zudem "eher großzügig als zu rigide" aus. Alle Protestaktionen in der laufenden Streikwoche, an der am Montag bundesweit 37 Kliniken teilnahmen, fänden in der Nähe des Krankenhauses statt. Im Falle einer unerwartet hohen Zahl akuter Notfälle könnten dann schnell Ärzte einspringen.
Thorsten Severin, Reuters
Quelle: ntv.de