Dossier

Ein Jahr nach Mord an Dink Viele Fragen offen

Ein Jahr nach dem Mord an dem türkisch-armenischen Journalisten Hrant Dink warten seine Freunde und Unterstützer noch immer auf die Konsequenzen aus der Tat. Die Ermittlungen haben auf den Hintergründen des Attentats einen dunklen Schleier des Geheimnisses belassen. Die amtliche Version, der jugendliche Mörder habe die tödlichen Schüsse auf den von türkischen Nationalisten heftig angefeindeten Herausgeber der türkisch-armenischen Wochenzeitung "Agos" fast ohne Hintermänner abgefeuert, wird offen angezweifelt.

Und der umstrittene Strafrechtsparagraf 301, der Verunglimpfung des Staates und "Beleidigung des Türkentums" unter Strafe stellt, ist unverändert in Kraft. Der Paragraf war die Grundlage für die juristische Verfolgung Dinks und hat in den vergangenen Jahren dutzende Autoren vor Gericht gebracht. Türkische Bürgerrechtler und die Europäische Union warten noch auf die von der Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan angekündigte Änderung des Gesetzes.

Ein Reformentwurf des türkischen Justizministers Mehmet Ali Sahin sieht vor, die Höchststrafe von drei auf zwei Jahre zu senken. Für eine Verfolgung soll nachgewiesen werden, dass die Herabwürdigung absichtlich erfolgte. Zudem soll für Verfahren die Zustimmung des Justizministeriums nötig werden. Mit dieser Klausel könnte nationalistischer Eifer von Staatsanwälten gestoppt werden. Der Kern des Strafrechtsparagrafen aber soll erhalten bleiben. Liberale Juristen kritisieren deswegen, die Änderungen könnten nicht als Reform bezeichnet werden, berichtete die Tageszeitung "Radikal".

Trotz Morddrohungen kein Schutz

Weil er die Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich im Ersten Weltkrieg als "Völkermord" bezeichnet hatte, nahmen nationalistische Kreise Dink aufs Korn. Der Journalist, der als Mann des Dialoges galt, hatte nach Angaben eines Anwaltes mehr als zwei Jahre lang Morddrohungen erhalten. Mit drei Schüssen streckte der aus der türkischen Schwarzmeerstadt Trabzon angereiste, erst 16 Jahre alte Täter sein Opfer auf offener Straße vor dem Bürogebäude von "Agos" in Istanbul nieder. Dink hatte trotz der Drohungen keinen Schutz erhalten.

Türkische Medien haben immer wieder über Verwicklungen des "tiefen Staates" in die Tat berichtet - gemeint sind verdeckte, nationalistische Machtzentren. Der Linkspolitiker Ufuk Uras von der oppositionellen Partei der Freiheit und Solidarität (ÖDP), der 2007 als Direktkandidat ins türkische Parlament eingezogen ist, forderte den Blick hinter den Schleier, um die Hintergründe der Tat zu klären. Die Anwältin der Dink-Familie, Fethiye Cetin, sagte, wenn der Mordfall beleuchtet werde, würde in der Türkei einiges erhellen.

Hassan Tekin, der mit einem Musik- und Schreibwarengeschäft zu den Nachbarn von "Agos" gehört, erinnert sich mit sichtbarer Wut an den 19. Januar des vergangenen Jahres, den Tag des Mordes. Der Anschlag sei nach zahllosen Drohungen erwartet worden. Selbst bei ihm sei angerufen worden, sagt er. "Na, wie geht es deinem Nachbarn. Sie werden ihn umbringen", habe ein Anrufer gedroht. Unmittelbar nach der Tat rannte er auf die Straße und sah den toten Dink. "Auf dem Papier werden in der Türkei einige Weichen in Richtung Freiheit gestellt", sagt er. "Aber im echten Leben nimmt es einen anderen Weg."

Von Carsten Hoffmann, dpa

Quelle: ntv.de

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