Dossier

Proteste gegen Putin Volkszorn wächst

Nicht einmal beißender Frost konnte die erhitzten Gemüter vieler Russen abkühlen. Tausende Unzufriedene machten in Moskau und 50 anderen Regionen des Landes bei Protesten am Wochenende ihrem Frust über Rubelverfall, Preisanstieg und Massenentlassungen Luft. Sie warfen Regierungschef Wladimir Putin Versagen vor. Wieder nahmen einige von ihnen Polizei-Prügel oder Haft in Kauf, um ihr Demonstrationsrecht wahrzunehmen. Doch so sehr der Volkszorn in Krisenzeiten wächst und Forderungen nach einem Machtwechsel laut werden, eine breite Bewegung gegen Putin ist noch nicht in Sicht.

"Das einzige Heilmittel gegen die Krise ist die Revolution" steht auf einem Plakat der Kommunisten, die sich am Triumph-Platz in Moskau in 1000er Stärke versammelt haben. Das Polizeiaufgebot hier ist groß wie in der ganzen Stadt. Zahlreiche Plätze sind weiträumig mit Gittern abgesperrt. Schon seit Tagen patrouillieren auch in der Metro verstärkt Sicherheitskräfte, um spontane Proteste zu verhindern. Zusätzlich sind tausende Freiwillige der Bürgerwehr "Druschina" auf den Beinen, um die Polizei zu unterstützen.

Angst vor neuer Rubelkrise

"Wir lassen uns nicht einschüchtern. Sagen Sie mir, wie ich von nur 3000 Rubel Rente im Monat leben soll!", zürnt der frühere Ingenieur Igor. Sein Einkommen entspricht nach dem 30-prozentigen Währungsverfall der letzten Wochen nur noch etwa 60 Euro. Putin habe lange Zeit politisch von den hohen Rohstoffpreisen profitiert, doch nun versage die "kapitalistische Regierung". Die Angst vor einer neuen Rubelkrise wie in den 1990ern sitzt bei allen Russen tief.

Freilich haben weder die Kommunisten noch die vielen anderen zersplitterten Oppositionsgruppen bei ihren Kundgebungen echte Rezepte gegen die Krise. Aber der Ton wird schärfer. Immer wieder kommt es im Zentrum zu Schlägereien, werden Rauchbomben und Knallkörper gezündet. Während bei den Protesten die Redner mit ihren Stimmen gegen den Lärm eines tief fliegenden Polizeihubschraubers ankämpfen, liefert sich die zersplitterte liberale Opposition in der Stadt ein Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei. Dutzende werden festgenommen.

Demokratie und Freiheit sind Fiktion

"Wir leben unter einem verbrecherischen Regime", ruft der Vorsitzende des Verbandes sowjetischer Offiziere, Alexej Fomin, bei einer Demo. "Demokratie? Meinungs- und Redefreiheit? Freie Wahlen? - Alles reine Fiktion!", schimpft der Veteran. Solche Töne schlug bisher fast ausschließlich die kremlkritische Bewegung Das andere Russland um den früheren Schachweltmeister Garri Kasparow an.

Schon vor den angekündigten Protesten nahm die Polizei laut Medien vorsorglich regionale Anführer von "Das andere Russland" in Gewahrsam. Der Radiosender "Echo Moskwy" berichtete zudem über den wachsenden Druck auf kritische Studenten, die mit der Teilnahme an politischen Aktionen ihren Studienplatz riskieren. So verlangte Moskaus Polizeivize Alexander Iwanow jüngst in einem Brief an die staatliche Hochschule für Ökonomie, Studenten wegen der Teilnahme an Straßenprotesten vom Studium auszuschließen.

Bevölkerung gespalten

"Das ist im neuen Russland ein bisher einmaliger Vorgang", sagte die Moderatorin des Senders. Iwanow forderte von der Hochschule zudem weitere Angaben über die Studenten, weil diese "Extremisten" "ein großes Gefahrenpotenzial für die Gesellschaft" seien. So werde wie zu Sowjetzeiten Denunziantentum gefördert, empörte sich die Zeitung "Nesawissimaja Gaseta". Offenbar gerate der Kreml zunehmend in Panik darüber, dass die Proteste so wie in Griechenland oder im Baltikum in offene Gewalt umschlagen könnten, meinen Kommentatoren.

Laut Umfragen sehen nur noch weniger als die Hälfte der Russen ihr Land auf dem richtigen Weg. Gleichwohl sind Putin und Kremlchef Dmitri Medwedew bei der Mehrheit weiter extrem populär. Die von Putin geführte Kremlpartei "Geeintes Russland" zog tausende Anhänger zusammen, um Einheit in der Krise zu demonstrieren. Bei einer Kundgebung am Kreml gab Funktionär Andrej Worobjow Parolen zum Durchhalten aus: "Nur der Schwache gibt auf. Auf den Starken, der ein Ziel hat und nach vorn schaut, wartet aber bekanntlich der Erfolg!"

Ulf Mauder, dpa

Quelle: ntv.de

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