Dossier

Herausforderung Schuldenbremse "Weiche Landung ist möglich"

Bremsen ohne zu quietschen. Wie kann das bei der Haushaltslage gehen? Viel Spielraum gibt es nicht.

Bremsen ohne zu quietschen. Wie kann das bei der Haushaltslage gehen? Viel Spielraum gibt es nicht.

(Foto: picture alliance / dpa)

Deutschland steht vor großen finanziellen Herausforderungen. Die Schuldenbremse schreibt seit diesem Jahr vor, das Haushaltsdefizit spätestens bis 2020 auf null zurückzufahren. Um eine "weiche Landung" hinzubekommen, müssen Weichen gestellt werden, sagt Ingolf Deubel, Mitglied des Managerkreises der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung. Seine Maxime lautet: Mehr investieren und auf jeden Fall restriktiv bleiben. Wenn dieser Weg eingehalten werde, könnte Deutschland am Ende des Jahrzehnts sehr stark dastehen. Die Rufe, die Steuermehreinnahmen in Steuererleichterungen fließen zu lassen, bezeichnet Deubel als "populistischen Unfug".

Ingolf Deubel, Finanzminister a.D. und Mitglied des Managerkreises der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung.

Ingolf Deubel, Finanzminister a.D. und Mitglied des Managerkreises der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung.

n-tv.de: Gibt es in Zeiten der Schuldenbremse etwas zu verteilen? 

Ingolf Deubel: Auch wenn es zurzeit bei den Steuereinnahmen besser aussieht als in der Vergangenheit erwartet, gibt es nichts zu verteilen. Im vergangenen Jahr hatten wir 80 Milliarden Defizit insgesamt. Dieses Defizit gilt es auszugleichen. Die Vorgabe des Grundgesetzes ist da eindeutig. Zwar lässt die Verfassung zu, dass der Bund sich bis 2016 Zeit nimmt und die Länder sogar bis 2020, aber das ist nur eine Ausnahmeregelung.

Aus den Reihen von FDP und der CDU wird aber zum Teil wieder laut nach Steuererleichterungen gerufen. Wie verträgt sich das?

Das ist populistischer Unfug. Genau der Unfug, der Deutschland in die jetzige Situation gebracht hat. Entgegen allem, was ökonomisch vernünftig ist, hat man in guten Zeiten die Steuern gesenkt, anstatt die Haushalte zu konsolidieren oder gar Überschüsse zu erwirtschaften. Es klingt vernünftig, zu sagen, die Steuerzahler sollen am Aufschwung beteiligt werden. Ökonomisch ist das aber grottenfalsch. Ökonomisch sollten gute Zeiten dazu genutzt werden, die Haushalte zu konsolidieren und nicht im Keim die nächsten Probleme für den nächsten Abschwung zu programmieren.

Aufgrund klammer Haushaltskassen wird immer weniger Geld für ihre Kernaufgaben Infrastruktur und Bildung eingesetzt. Wie können diese Bereiche gestärkt werden?

Man darf jetzt keine Fehler machen. Der erste Fehler wäre, die Steuern zu senken und damit die Einnahmebasis dauerhaft zu schädigen. Der zweite Fehler wäre, die Mehreinnahmen zur Erhöhung laufender konsumtiver Ausgaben zu verwenden, indem man zum Beispiel besonders hohe Tariferhöhungen im öffentlichen Dienst akzeptiert oder gar das Personal ausweitet, also die laufenden Sachkosten ausweitet. Aber man muss auch ganz klar sehen, dass in Deutschland seit Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre die öffentliche Infrastruktur völlig auf den Hund gekommen ist. Das öffentliche Vermögen sinkt von Jahr zu Jahr. Das Gleiche gilt für die Bildung. Mit Bildung wird etwas aufgebaut, was Deutschland langfristig braucht. Wenn wir dauerhaft wettbewerbsfähig sein wollen, sind Bildungsinvestitionen in höherem Umfang notwendig als jetzt. Von daher kann ich mir gut vorstellen, dass man in diesen beiden wichtigen Investitionsbereichen nachhaltig mehr tut.

Die Europäische Kommission geht davon aus, dass sich Bildungsinvestitionen mit 8 bis 12 Prozent pro Jahr rentieren. Da würde jedes Unternehmen und jeder Investor investieren, auch über Kredite. Sie sind dagegen. Warum?

Selbst bei einer hohen Rentabilität muss man sich immer fragen, wer am Ende die Zinsen und die Tilgung für aufgenommene Kredite trägt. Wenn diejenigen, für die die Kredite aufgenommen werden, auch diejenigen sind, die den Vorteil davon haben, ist das in Ordnung. Aber was würde passieren? Wir würden die Generation, die jetzt relativ gut dasteht bei Einkommen, Steuerbelastung und Rentenerwartung, entlasten und die nachfolgende Generation belasten, die sowieso aufgrund der demographischen Entwicklung massiv belastet wird. Wir können ihr nicht alles anlasten: eine ordentliche Rentenversorgung der jetzt Aktiven und der jetzigen Rentner, eine Übernahme von Zins und Tilgung für jetzt noch aufgenommene Kredite. Und möglicherweise später auch noch eine Steuerfinanzierung für die Bildung der dann wieder nachwachsenden Generation.

Wäre das nicht der richtige Moment für eine Steuervereinfachung für Wirtschaft und Private? So könnte man sie aufkommensneutral entlasten und gleichzeitig ein Angebot für mehr Wachstum machen. Alle Regierungen von Schwarz-Gelb bis Rot-Grün tun sich damit schwer. Warum?

Die Mehrwertsteuer ist ein schönes Beispiel, dass man ohne weiteres aufkommensneutral eine Steuervereinfachung umsetzen kann, wenn man es denn will. Würde man den ermäßigten Steuersatz ausschließlich auf den Grundbedarf konzentrieren, das heißt, auf Lebensmittel und Ähnliches, und alles andere in den normalen Steuersatz bringen, wäre das eine massive Vereinfachung. Auch die Wirtschaft, selbst das Übernachtungsgewerbe, ist nicht glücklich mit der ermäßigten Mehrwertsteuer. Die Wirtschaft deshalb nicht, weil sie unterm Strich jetzt mehr für die Übernachtung zahlt. Denn die Preise sind ja nicht gesunken, aber der absetzbare, verrechenbare Mehrwertsteueranteil ist gesunken Also sind die Unternehmen per Saldo sogar höher belastet, als das bisher der Fall war. Eine starke Vereinheitlichung wäre meines Erachtens auch öffentlich kommunizierbar. Aber die jetzige Regierung hat sich halt auf die Fahnen geschrieben, für jede Lobby-Gruppe etwas zu tun.

Man kann ein Land kaputtsparen – eine große Befürchtung derzeit bei Griechenland. Muss Deutschland nicht mehr investieren,  um die Zukunftsfähigkeit des Landes zu sichern?

Schuldenbremse_4.jpg

(Foto: picture alliance / dpa)

Völlig unstrittig. Aber das heißt nicht, dass Deutschland sich weiter und höher verschulden kann.  Das Gegenteil ist richtig. Es gibt bestimmte Grenzen, wenn die überschritten werden, dann wird das Wachstum gehemmt. Sie liegen irgendwo zwischen 60 und 90 Prozent Schuldenstandquote. Griechenland hat diese Grenze weit überschritten. Das Land hat sich nie bemüht, ein vernünftiges Steuersystem aufzubauen. Die Steuerquote in Griechenland ist exorbitant niedrig. Wenn Deutschland nicht auch in einen solchen Strudel geraten will, müssen wir schnellstmöglich dafür sorgen, dass das strukturelle Defizit tatsächlich Richtung null geht und dass die Schuldenstandquote möglichst weit weg ist von den 60 Prozent, die Maastricht vorgegeben hat. Das ist zwingend, damit wir die Investitionsfähigkeit dauerhaft absichern können.

Und wie soll das gelingen?

Wir müssen drei Dinge tun: Wir müssen bei den laufenden Ausgaben, bei den wirklich konsumtiven Ausgaben, den Gürtel eng geschnallt halten und noch enger schnallen. Wir müssen im Bereich der Investition, auch der Bildungsinvestitionen, mehr tun. Und wir müssen im steuerlichen Bereich das tun, was notwendig ist, damit das strukturelle Defizit in Richtung null geht und damit die Schuldenstandquote peu a peu sinkt. Wenn wir die Steuerquote leicht anheben, kann Deutschland ganz gesunde Verhältnisse bekommen. Das ist gerade vor dem Hintergrund der im Moment der recht guten konjunkturellen Lage auch sehr gut zu realisieren.

Im Jahr 2010 klaffte nach Ihrer Modellrechnung in den öffentlichen Haushalten eine Finanzierungslücke von 5 Prozent. Sie setzt sich zusammen aus einem negativen Finanzierungssaldo von gut 3 Prozent und Investitionslücken von jeweils rund 1 Prozent (des BIP) in den Bereichen Infrastruktur und Bildung. Wie kann man die stopfen?

Schuldenbremse_1.jpg

(Foto: picture alliance / dpa)

Zunächst mal muss man sagen, diese Finanzierungslücke bezieht sich auf 2010. Das Defizit von 81 Milliarden war überzogen, weil das Jahr konjunkturell unterdurchschnittlich war. Das hatte auch damit zu tun, dass wir 2010 ein paar Sonderbelastungen hatten – Bankenrettung, Konjunkturprogramme. In diesem Jahr wird das Defizit schon kräftig nach unten gehen. Man geht von etwa 40 bis 45  Milliarden Euro aus. Im nächsten Jahr geht es nochmal weiter runter. Das heißt, ein Teil der Lücke von 5 Prozent wird über die Konjunktur geschlossen. Um den Rest der Lücke zu schließen, brauchen wir den Dreiklang (1. bei den Ausgaben den Gürtel enger schnallen, 2. mehr Investitionen bei Infrastruktur und Bildung und 3. Beseitigung struktureller Defizite, damit langfristig die Staatsschulden sinken – Anmerkung der Redaktion). Diese Lücke zu schließen, wird man sinnvollerweise nicht kurzfristig machen. Denn dann geht es nur in die Preise. Auf der anderen Seite darf man in den guten Zeiten den Gürtel nicht wieder weiter schnallen für die laufenden Ausgaben. Das ist fast die schwierigste Aufgabe.

Wird Deutschland 2020 erfolgreich durchs Ziel laufen? 

Jetzt können die Weichen gestellt werden, um im Jahr 2020 eine weiche Landung hinzukriegen. Das werden dann auch die Kapitalmärkte honorieren, indem dann speziell für Deutschland niedrige Zinsen möglich sind. Das entlastet natürlich auch den Haushalt.

Mit Ingolf Deubel sprach Diana Dittmer

Professor Dr. Ingolf Deubel ist ehemaliger Finanzminister des Landes Rheinland Pfalz und Mitglied des Managerkreises der Friedrich-Ebert-Stiftung

Quelle: ntv.de

Social Networks
Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen