Dossier

"Schnellstmöglich" aussteigen Winfried Kretschmann hebt nicht ab

Winfried Kretschmann ist einer der Gründer der Grünen in Baden-Württemberg.

Winfried Kretschmann ist einer der Gründer der Grünen in Baden-Württemberg.

(Foto: picture alliance / dpa)

Den jüngsten Umfragen zufolge könnte am kommenden Sonntag bei den Wahlen in Baden-Württemberg mit Winfried Kretschmann Deutschlands erster grüner Ministerpräsident gewählt werden. Im Gespräch mit n-tv.de erklärt Kretschmann, wie er als Regierungschef die Voraussetzungen für einen Umbau der Energieversorgung schaffen will und dass er nicht abhebt, auch wenn er auf dem fliegenden Teppich sitzt. Auftrieb bei seinem Höheflug hat ihm ohne Zweifel der amtierende Ministerpräsident Stefan Mappus verschafft. Dessen Rückkauf der EnBW-Anteile könnte dem Land hunderte Millionen Euro kosten.

n-tv.de: Herr Kretschmann, nach allem, was wir aus Ihrer Fraktion hören, hat Stefan Mappus mit dem Rückkauf der EnBW-Anteile einen schweren Fehler begangen, der ihm am Ende den Job kosten könnte. War eigentlich alles falsch am Mappus-Deal?

Winfried Kretschmann: Also erstens konnte man eine Wechselstimmung im Land schon vor dem fraglichen Deal und der Atomkatastrophe von Fukushima feststellen. Mit dem dreimonatigen Moratorium von Kanzlerin Merkel und Mappus will sich die CDU über den nahen Wahltermin retten. Das wird aber nicht gelingen.

Und zweitens …?

… behauptet Mappus noch immer, das EnBW-Geschäft sei ein toller Kauf gewesen. Wäre er nicht so konsequent gewesen, hätten sich nach seinen Angaben ausländische Investoren in das Unternehmen eingekauft. Zudem könne man nur so Einfluss auf die Energiepolitik nehmen. Diese Fakten wiederholt er gebetsmühlenartig und lässt keine Kritik an sich heran. Klar ist, das Land hat einen viel zu hohen Preis bezahlt, das Risiko trägt der Steuerzahler und das Risiko ist riesig. Ich halte es zudem für extrem gefährlich, dass CDU und FDP jetzt mit der Angst vor den Russen das Geschäft verteidigen.

Winfried Kretschmann sitzt seit 1980 für die Grünen im Stuttgarter Landtag.

Winfried Kretschmann sitzt seit 1980 für die Grünen im Stuttgarter Landtag.

(Foto: picture alliance / dpa)

Angst vor den Russen?

Ja, da ist die Rede davon, dass die Russen über die Gasgeschäfte mit Deutschland ihre Finger nach Baden-Württemberg ausgesteckt hätten. Das ist alles Quatsch und der unrühmliche Versuch, mit einer Schutzbehauptung den verpatzten Deal im Nachhinein zu rechtfertigen.

Muss jetzt das Land für das missratene Geschäft zahlen?

Allein wenn man den überhöhten Kaufpreis betrachtet, handelt es sich um ein vollkommen verfehltes Geschäft. Die strategischen Partner, die man benötigen würde, um ein Unternehmen solcher Größenordnung umzubauen, gewinnt man dadurch keinsfalls. Zudem besteht die große Gefahr, dass uns das EnBW-Geschäft haushaltspolitisch auf die Füße fällt. Wir müssen hier in Milliarden-Dimensionen rechnen und haben über Jahre einen Klotz am Bein. Wir warten jetzt auf die Wertberichtigungen, die eintreten werden, wenn die Preisbindung der Aktie Anfang April aufgelöst wird.

Denken Sie, dass es sich bei dem Geschäft um eine Hauruck-Aktion handelt oder von Mappus ganz gezielt eingefädelt wurde?

Stefan Mappus hatte sich im vergangenen Sommer massiv für die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke eingesetzt.

Stefan Mappus hatte sich im vergangenen Sommer massiv für die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke eingesetzt.

(Foto: dpa)

Im Nachhinein wird sehr deutlich, welche Rolle Mappus bei den Verhandlungen um die Laufzeitverlängerung gespielt hat. Er gilt als der Hardliner, der auch bei Kanzlerin Angela Merkel den Rücktritt des amtierenden Umweltministers Norbert Röttgen gefordert hat. In diesem Licht betracht spricht vieles dafür, dass Mappus das Geschäft von langer Hand vorbereitet hat. Dabei wollte er nicht nur den Umweltminister aus dem Weg räumen, sondern degradierte auch seinen eigenen Finanzminister Willi Stächele zum Statisten und schloss den Stuttgarter Landtag gänzlich von den Überlegungen aus. Ein solch rücksichtloses Verhalten eines deutschen Politikers allein in Machtfragen haben wir hier selten gesehen.

Sie könnten am kommenden Sonntag durchaus Deutschlands erster grüner Ministerpräsident werden und sind dann womöglich Herr über mehrere Atomkraftwerke. Das ist schon eine skurrile Vorstellung. Wie wollen Sie mit Ihrer Erbschaft umgehen?

Wenn die Entwicklung des Unternehmens ganz schief läuft, könnte es durchaus die Dimensionen des Landesbanken-Skandals annehmen. Wir werden wirklich große Mühe haben, aus diesem Unternehmen einen zukunftsfähigen Betrieb zu machen. Erst einmal besteht aber die große Gefahr, dass wir riesige Wertberichtigungen vornehmen müssen und das Unternehmen faktisch nicht zu verkaufen ist. Sollten allein schon die Zinskosten die Dividende übersteigen, bekommt das Land als Miteigentümer enorme Probleme.

Was werden Ihre ersten Maßnahmen als Regierungschef sein?

Jetzt muss erst einmal die alles entscheidende Frage des Ausstiegs geklärt werden. Dann wollen wir versuchen, gleich noch Philippsburg I stillzulegen. Erst danach können wir entscheiden, wie wir schnellstmöglich die beiden restlichen Atomkraftwerke hier in Baden-Württemberg vom Netz nehmen. Aber bis dahin sind noch viele rechtliche Fragen zu klären. Wir müssen versuchen, schnell in den Aufsichtsrat von EnBW zu gelangen. Das alles ist auch für einen grünen Ministerpräsidenten nicht einfach.

Kämen Sie nicht automatisch nach der Regierungsübernahme in den Aufsichtsrat?

Nein, so leicht ist das nicht. Das haben Herr Mappus und die EnBW blockiert, indem sie eine Verschiebung der Hauptversammlung verhinderten. Die Aufsichtsräte des Landes Baden-Württemberg waren ja noch von der alten Regierung benannt worden. Bei der Hauptversammlung ist die neue Regierung aber noch nicht im Amt. Sollten wir tatsächlich die Regierung stellen, müssen wir uns in dieser Frage strategisch neu ausrichten. Die alten Aufsichtsräte können wir nicht ohne weiteres abberufen.

Wie groß ist jetzt eigentlich die Einflussnahme der Regierung auf EnBW?

In der Funktion als Atomaufsicht, die wir als Landesregierung wahrzunehmen haben, werden wir zunächst den sicherheitstechnischen Zustand von Philippsburg 1 entlang des Standes von Wissenschaft und Technik bewerten lassen und darauf aufbauend Nachrüstanforderungen stellen. Ich veranschlage das auf eine hohe dreistellige Millionensumme. Ich bin optimistisch, dass die Betreiber von sich aus erklären werden, dass ein Weiterbetrieb keinen Sinn mehr macht.

Noch bezieht Baden-Württemberg das Gros seines Stroms aus den Atomkraftwerken der EnBW. Was sagen Sie jenen Bürgern, denen der Ausbau erneuerbarer Energien nicht passt, weil dafür neue Stromautobahnen gebaut und in die Natur eingegriffen werden muss?

Es ist gar keine Frage, dass wir neue Trassen brauchen, sonst können wir die regenerativen Energien nicht in der erforderlichen Geschwindigkeit ausbauen. Wenn man aus der Atomkraft raus will und rein in die saubere und ungefährliche Stromgewinnung, dann muss man eben in den sauren Apfel beißen. Wir nehmen die Einwände der Bürger und Bürgerinnen vor Ort ernst und werden bei solchen Großprojekten ein frühzeitiges und transparentes Beteiligungsverfahren einleiten. Und die Einwände können auch dazu führen, dass die Planungen revidiert oder korrigiert werden. Die Schweiz zeigt uns aber, dass in vielen Fällen die Planungen akzeptiert werden.

Sind Sie aufgeregt, wenn Sie an das kommende Wochenende denken?

Wie sollte ich es nicht sein? Aber ich hebe nicht ab, auch wenn ich auf dem fliegenden Teppich sitze.

Quelle: ntv.de, Mit Winfried Kretschmann sprach Peter Poprawa

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