Robbe mit Wut und Wehmut "Wir müssen alle dazulernen"
12.05.2010, 07:40 Uhr
Bei der Vorlage des Wehrberichts 2009 zeichnete Robbe ein schlimmes Bild der Bundeswehr.
(Foto: picture alliance / dpa)
Erniedrigende Aufnahme-Rituale für Rekruten, viel zu wenige Ärzte im Sanitätsdienst und immer mehr gefallene Soldaten - in den fünf Jahren, in denen Reinhold Robbe der Wehrbeauftragte des Bundestages war, haben sich manche Dinge gar nicht verändert, andere dafür um so mehr. n-tv.de sprach mit Robbe über Deutschland und seine Soldaten und den Frust im Amt.
n-tv.de: Sie waren fünf Jahre Wehrbeauftragter. Hat Sie das Amt verändert?

Wer im Einsatz verletzt wird, gerät in Deutschland oft in die Mühlen der Bürokratie.
(Foto: APN)
Reinhold Robbe: Weil ich auf meine berechtigten und konkreten Fragen von den Verantwortlichen oft keine vernünftigen Antworten oder nur Ausflüchte bekommen habe, bin ich immer ungeduldiger geworden. Ich empfinde keine Befriedigung darin, jedes Jahr eine Unmenge von negativen Beispielen im meinem Bericht aufzuführen. Ich wollte immer, dass sich etwas für die Soldatinnen und Soldaten verbessert.
Pro Jahr sind etwa 6.000 Petitionen von Soldatinnen und Soldaten eingegangen. Gibt es Fälle, die Sie persönlich besonders berührt haben?
Ja. In erster Linie sind es die Fälle von getöteten Soldaten, egal ob sie gefallen, bei Unfällen oder durch Suizid ums Leben gekommen sind. Ich habe deren Angehörige eingeladen, um zu hören, wie es ihnen geht. Welche Erfahrungen haben sie nach dem Verlust des Vaters, Freundes oder Sohnes mit den ehemaligen Kameraden gemacht, hat es Probleme bei der Beantragung von Leistungen gegeben? Diese Gespräche sind nicht spurlos an mir vorübergegangen. Auch verschiedene Begegnungen mit Soldaten sind mir sehr nahe gegangen.
Was muss korrigiert werden?
Wir brauchen dringend eine Evaluierung der Leistungsgesetze z.B. des Einsatzweiterverwendungsgesetzes oder des Einsatzversorgungsgesetzes. Man kann den Kämmerer einer Kleinstadt nicht mit einem Hauptfeldwebel vergleichen, der in Kundus auf Patrouille geht und dabei seine Gesundheit und vielleicht sogar sein Leben einsetzt. Ich stelle immer wieder fest, dass die Soldaten die Gesetze oftmals gar nicht in Anspruch nehmen können. Wenn ein Soldat beispielweise nicht mindestens 50 Prozent wehrdienstbeschädigt ist, fällt er durchs Rost. Ein Bundeswehr-Arzt stellt fest, dass ein Soldat seit seinem Einsatz eine Posttraumatische Belastungsstörung hat, in möglichen weiteren Gutachten wird an solchen kausalen Zusammenhängen gezweifelt. Das kann nicht sein. Inzwischen liegen viele Soldaten schon seit Jahren mit Sozialgerichten im Clinch, um zu ihrem Recht zu kommen.
Aber ist das Aufgabe der Politik?

Auslandseinsätze haben eine andere Dimension.
(Foto: REUTERS)
Die Politik ist gewillt, etwas zu tun. Die Voraussetzung ist aber, dass den Abgeordneten und Fachpolitikern von der militärischen Führung reiner Wein eingeschenkt wird. Wenn schon die Vorlagen der Militärs schöngefärbt sind, sieht die Politik keinen Handlungsbedarf für mehr Geld oder mehr Engagement. Warum muss immer der Wehrbeauftragte die Defizite thematisieren? Wieso kann es nicht der Inspekteur sein, der für seine Teilstreitkraft verantwortlich zeichnet? Der hat auch links und rechts die goldenen Sterne, die ihm nicht nur das nötige Rückgrat mitgeben sollten, sondern auch den Mut und die Freiheit, die Mängel zu benennen. Im Übrigen liegt nicht alles nur am Geld, es sind auch die völlig veralteten Strukturen in der Bundeswehr, die heute für viele Probleme verantwortlich sind.
Das heißt konkret?
In der Bürokratie unserer Streitkräfte müsste dringend darüber nachgedacht werden, ob die Trennung von Truppe und Truppenverwaltung noch zeitgemäß ist. Dadurch haben wir viele Parallelstrukturen, das führt nicht nur zu Kommunikationsproblemen, sondern auch zu erheblichen Reibungsverlusten. Besonders bei der Beschaffung dauern notwendige Entscheidungen viel zu lange. Auch die Planungsgrundlagen für Material und Personal entsprechen nicht mehr den neuen Notwendigkeiten. Das sind Relikte aus vergangenen Zeiten, die mit einer modernen Armee nicht kompatibel sind.
Die Bundeswehr kommt also bei den Beschaffungen nicht hinterher?
Die internationale terroristische Szene ist heute unheimlich flexibel und entwickelt mit immer perfideren Mitteln ihre Höllenmaschinen. Da müssen wir jeden Tag schauen, was es an veränderter Technik gibt und wie wir dafür sorgen können, dass unsere Soldaten davor auch technisch einigermaßen gefeit sind.
Können Sie ein Beispiel nennen?

Der A400M wird teurer und kommt später.
(Foto: REUTERS)
Heute brauchen wir für die neue Strategie in Afghanistan viel mehr geschützte Fahrzeuge. Bei einem eventuell zukünftigen anderen Einsatz an anderer Stelle in der Welt kann ganz anderes Gerät erforderlich sein. Deshalb kann man heute nicht mehr so einfach planen. Auch darum muss man sich bei Großprojekten wie dem A400M oder dem Eurofighter, Marinefregatten oder U-Booten vor einfachen Schuldzuweisungen hüten. Die haben Vorlaufzeiten von zum Teil mehreren Jahrzehnten. Wenn das Gerät schließlich auf dem Hof steht, ist der Bedarf vielleicht nicht mehr in ursprünglichem Umfang vorhanden. Das Thema ist so komplex, dass man modernes Management an der Spitze der Bundeswehr-Hierarchie benötigt, um mit den Herausforderungen klar zu kommen.
Fehlende Ausrüstung ist ein Problem. Aber fehlt uns nicht auch eine generelle Diskussion zur Rolle der Bundeswehr?
Aus Umfragen wissen wir, dass Soldaten heute ein viel besseres Ansehen haben als noch vor dreißig, vierzig Jahren. Aber was die Soldaten mit Recht beklagen, das ist die allgemein fehlende gesellschaftliche Zuwendung. Der Deutschen Bundestag schickt - stellvertretend für das ganze Volk – unsere Soldaten in die Einsätze. Davon kann man den Anspruch der Soldaten ableiten, dass sie dafür von ihren Mitbürgern mehr Zuwendung bekommen. Das sind einfach Dinge, die zusammen gehören.
Diese Zuwendung kommt offenbar nicht von allein. Haben Sie deshalb für die Zeit nach Ihrer Amtszeit einen Runden Tisch für Soldaten organisiert?

Bei seinen Truppenbesuchen hörte Robbe über die Jahre immer die gleichen Klagen.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Ja, und das hat ja nichts mit der politischen Bewertung von irgendwelchen Einsätzen oder Missionen zu tun. Wir müssen mehr sehen, was die Soldatinnen und Soldaten eigentlich tun und wir müssen insbesondere auch bei den gesellschaftlichen Eliten für diesen Diskurs werben. In anderen Ländern ist es selbstverständlich, dass Künstler in den Einsatzgebieten vor Soldaten auftreten. Für uns ist das eine exotische Angelegenheit. Nun suche ich Verbündete, um diese fehlende Empathie durch ehrliches menschliches Interesse zu ersetzen. Den wenigsten Bürgern ist bewusst, was im Auslandseinsatz geschieht.
Immerhin ist in jüngster Zeit eine Diskussion über die Auslandseinsätze in Gang gekommen, plötzlich nimmt auch der Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg das Wort Krieg in den Mund. Sehen Sie diese Debatte als hilfreich an?
Ich gebe den Soldaten Recht, wenn sie von kriegsähnlichen Zuständen sprechen. Wer jeden Tag in stundenlangen Gefechten erlebt, wie Kameraden schwer verwundet oder getötet werden, wer auch durchmachen muss, dass er selber tötet, der empfindet dies alles als kriegsähnlichen Zustand. Das hat nichts mit einer Veränderung der völkerrechtlichen Begrifflichkeiten zu tun oder damit, dass man Krieg gesellschaftsfähig machen will oder dass man für eine Militarisierung der deutschen Zivilgesellschaft eintritt. Wenn die Soldaten solche Begriffe wählen, dann wollen sie damit deutlich machen, in welcher eskalierenden Situation sie sich befinden. Es war wichtig, dass auch der zuständige Fachminister und Befehlshaber für die Streitkräfte Guttenberg dies so benannt hat. Aber ebenso wichtig ist, dass wir uns nicht an Krieg gewöhnen, auch nicht an Begrifflichkeiten wie Krieg. Wir können bei so einem Einsatz wie in Afghanistan kriegsähnliche Zustände nicht ausschließen. Wenn sie schlimmerweise so eintreten, dann müssen wir sie auch so benennen.
Die Bundeswehr ist geprägt von der allgemeinen Wehrpflicht, diese möglicherweise schon ab Oktober auf sechs Monate reduziert werden. Ist es überhaupt möglich, jemanden in sechs Monaten auszubilden?

Gute Ausbildung ist auch bei Rekruten nicht umsonst zu bekommen.
(Foto: picture alliance / dpa)
Natürlich wird man einen Wehrpflichtigen in sechs Monaten nicht so ausbilden, dass man ihn in den Auslandseinsatz schicken kann. Aber das ist ja auch nicht vorgesehen. Wenn der Anschlag auf die Twin Towers in Frankfurt stattgefunden hätte, dann wäre automatisch die Bundeswehr bei Rettungs- und Aufräumarbeiten zum Einsatz gekommen. Für solche Fälle oder auch Naturkatastrophen, wenn die normalen Rettungsdienste überfordert sind, stehen die sogenannten W6-er zur Verfügung. Aber die Verkürzung wird enorme Probleme bringen, wenn man die Inhalte nicht anpasst. Die Verkürzung kann kein Mittel sein, Geld zu sparen. Im Gegenteil, sie wird Geld kosten. Durch eine Veränderung der Inhalte werden z.B. mehr Ausbilder gebraucht. Zudem sollen mehr Wehrpflichtige einberufen werden, um etwas gegen die Wehrungerechtigkeit zu tun. Dafür muss der Minister ein überzeugendes Konzept vorlegen, wohl wissend, dass der Koalitionspartner die Verkürzung als "Einstieg in den Ausstieg" sieht.
Nähern wir uns der Freiwilligenarmee auf diese Weise durch die Hintertür?
Im Prinzip haben wir ja die Freiwilligenarmee. Jeder kann im Grunde frei entscheiden, ob er zur Bundeswehr geht oder ob er Zivildienst oder einen anderen der alternativen Dienste leistet. Heute gehen mehr Wehrpflichtige in die Alternativen als in die Bundeswehr. Wichtig ist, dass der Wehrdienst so attraktiv ist, dass junge Menschen ihn nicht als lästige Pflicht empfinden, sondern als sinnvoll und gut für ihr weiteres Leben. Durch die Wehrpflicht haben wir garantiert, dass sich die ganze Bandbreite unserer Gesellschaft auch in der Bundeswehr abbildet. Ich sehe bei einer Abschaffung der Wehrpflicht die Gefahr, dass wir nur noch Leute bekommen, die nichts anderes gefunden haben.
Der Historiker Michael Wolfssohn warnte erst jüngst vor einer „Ossifizierung der Bundeswehr".
Ich finde diesen Begriff nicht nur missverständlich, sondern auch in höchstem Maße entwürdigend. Er unterstellt, dass es negativ ist, dass wir im Moment in der Tat überproportional viele Bewerber aus den neuen Bundesländern haben. Aber das hat ja nichts mit der Qualität der Bewerber zu tun, im Gegenteil. Ich erlebe, dass es überhaupt keine Rolle mehr spielt, ob die Kameraden Bayern, Ostfriesen, Sachsen oder Hessen sind. Außerdem ist die Bundeswehr eine Pendlerarmee geworden. Jeder, der bei der Bundeswehr bleibt, weiß, dass er heute in Potsdam seinen Dienst tut und morgen vielleicht in Mittenwald und übermorgen in Flensburg. Insofern ist dieser Begriff ein ganz böser Ausrutscher und er ist besonders schlimm, weil er von einem Dozenten der Bundeswehruniversität in München stammt, der es besser wissen müsste.
Viele Punkte bemängeln Sie identisch seit fünf Jahren, ohne dass sich viel geändert hat. Haben Sie sich immer ernst genommen gefühlt mit Ihrer Kritik?
Ich habe mir nie Illusionen gemacht, dass der Wehrbeauftragte immer auch Kummerkasten und Seelsorger der Soldaten ist. Aber er ist genauso Anwalt und Sprachrohr. Der Wehrbeauftragte ist der Mittler zwischen Parlament und Streitkräften, er ist der verlängerte Arm des Parlaments in die Streitkräfte und gleichzeitig auch in die Gesellschaft hinein. Denn was er feststellt und an Mängeln benennt, sorgt auch in der Gesellschaft für Diskussionen. Ein starkes Kontrollorgan ist auch eine Lehre aus dem Holocaust und dem Zweiten Weltkrieg, damit die Soldatinnen und Soldaten niemals wieder für politische Zwecke missbraucht werden. Deshalb können wir auf diese Institution stolz sein. Wenn ich sehe, dass Länder wie Argentinien, oder Korea oder neuerdings Bosnien unser System adaptieren, das erfüllt mich schon mit Stolz.
Sie selbst haben an vielen Soldatenbeerdigungen teilgenommen. Hätten Sie sich gewünscht, dass Bundeskanzlerin Merkel schon eher zu einer Trauerfeier kommt?

2009 starben fünf Soldaten, 2010 werden es auf jeden Fall mehr sein.
(Foto: REUTERS)
Es ist nie zu spät für die richtigen Dinge im Leben. Ich war sehr froh, dass sie diesen Schritt gemacht hat. Sie hat damit ein Zeichen gesetzt, das war symbolisch wichtig, das war für die Familien wichtig. Sie hat durch ihre Anwesenheit Anteilnahme gezeigt. Wir müssen alle dazu lernen, ich nehme mich da nicht aus.
Welchen Ratschlag würden Sie Ihrem Nachfolger gern mit auf den Weg geben?
Ich neige nicht dazu, Ratschläge zu erteilen. Ratschläge sind immer auch "Schläge". Jeder muss seine eigenen Erfahrungen machen, jeder hat sein eigenes Temperament, seine eigenen Vorstellungen. Es wäre auch nicht fair, meine Sicht der Dinge als die alleinseligmachende weiterzugeben. Es erfolgt eine umfassende Übergabe und dann schließe ich dieses Kapitel ab.
Mit etwas Wehmut?
Das will ich gern zugeben, weil ich die Arbeit mit Herzblut gemacht habe. Für mich war das eine sehr erfüllende Aufgabe, auch wenn sie nicht immer so einfach war. Ich hoffe, dass es mir gelungen ist, der etwas anonymen Institution des Wehrbeauftragten ein Gesicht zu geben. Nicht aus Eitelkeit, sondern weil ich wollte, dass die Soldatinnen und Soldaten einen Wehrbeauftragten zum Anfassen haben, den sie ohne Scheu ansprechen können. Wenn mir das gelungen ist, bin ich zufrieden.
Quelle: ntv.de, Mit Reinhold Robbe sprachen Solveig Bach und Gudula Hörr