Dossier

Interview mit Dietmar Bartsch "Wir verschieben die Achse nach links"

Knapp vier Wochen vor dem Gründungsparteitag der neuen Linkspartei ist der Bundesgeschäftsführer der alten Linkspartei zuversichtlich. "Ich mache mir ernsthaft Hoffnungen auf einen Einzug in weitere West-Länder", sagt Dietmar Bartsch im Interview mit n-tv.de. "Das ist eine Aussage, die vor zwei Monaten belächelt worden wäre."

n-tv.de: Die Linkspartei wird weiter vom Verfassungsschutz beobachtet. Wer hört unser Gespräch mit und was tun Sie gerade Konspiratives?

Dietmar Bartsch: Diese ironische Frage kann man nur ironisch kontern. Ich verspreche: Wenn wir mitregieren, beobachten wir die CDU nicht. Aber Ironie ist fehl am Platze, denn hier wird parteipolitisch agiert. Es ist ein Skandal, dass die Partei, dass Abgeordnete der Linkspartei beobachtet werden. Das muss unbedingt aufhören.

Ist die Linke die SPD der Zukunft?

Nein, das ist sie sicher nicht. Wir haben in unserer Partei-Geschichte in vielen Fragen eigene Ansätze erarbeitet. Wir sind eine Partei, die in sozialdemokratischer, in kommunistischer und in emanzipatorischer Tradition steht. Wir wollen eine moderne Linke sein, die allerdings sehr wohl Ansätze aus der Sozialdemokratie in ihren guten Zeiten aufnimmt.

Was, glauben Sie, war der Schlüssel zum Erfolg in Bremen?

Man hat uns als eine Partei wahrgenommen, die nicht mehr "nur" aus dem Osten ist. Zweitens: Es war klar, dass wir eine Chance hatten, ins Parlament zu kommen - für den Wähler war es also keine verschenkte Stimme. Und drittens: Wir haben einen Wahlkampf gemacht, der sehr stark auf ein soziales Bremen gezielt hat. Und bundespolitische Themen wie der Mindestlohn und die Einsätze der Bundeswehr haben sicher auch eine Rolle gespielt.

Ist das ein Modell, das sich bei den Wahlen im nächsten Jahr fortsetzen lässt?

Jetzt ist klar: Das Parteiensystem hat sich verändert. Wir sind eine gesamtdeutsche Partei. Die anderen Länder sind auch sehr spezifisch zu behandeln. Das Signal aber ist: Die Linke kann es in die Landesparlamente schaffen. Ich mache mir ernsthaft Hoffnungen auf einen Einzug in weitere West-Länder. Das ist eine Aussage, die vor zwei Monaten belächelt worden wäre. Heute wird sie ernst genommen.

Wie bleibt man aber eine Ostpartei, wenn man im Westen erfolgreich sein will?

Die Linke wird in besonderer Weise den ostdeutschen Interessen verbunden bleiben. Wenn wir uns anschauen, dass die Arbeitslosigkeit in den neuen Ländern doppelt so hoch ist, dass das Durchschnittseinkommen das niedrigste ist und die Abwanderung groß ist, ist die Linke hier besonders gefragt. Außerdem sind wir im Osten Volkspartei. Wir sind hier zweitstärkste Partei, kein Anhängsel wie die Grünen. Und jetzt haben wir die Chance, diese Verankerung auch in den alten Bundesländern zu schaffen.

Das "Neue Deutschland" hat kürzlich kommentiert, die Linke solle in Zukunft auch auf Bundesebene mit der SPD koalieren. Ist der Kampf der SPD gegen Ihre Partei bald vorbei? Eine Mehrheit im Bundestag, zusammen mit den Grünen, gäbe es ja längst …

Das ist richtig. Und das ist eine ständige Mahnung an die SPD: Wenn man eine andere Politik will, kann man diese andere Politik auch haben. Ich will das Beispiel Mindestlohn nennen. Wenn die SPD ernsthaft einen Mindestlohn wollte, dann könnte sie einen Antrag im Bundestag stellen und würde eine Mehrheit bekommen. Wir wollen die Achse der Politik nach links verschieben. Es ist völlig klar, dass dazu auch Regierungsverantwortung gehört. Aber hinsichtlich einer Koalition können wir eine Politik, die die Armen zahlreicher macht und die Reichen reicher, nicht tragen. Das ist übrigens auch keine sozialdemokratische Politik.

Thema Wirtschaft: Deutschlands Laune klebt geradezu an deren Zustand. Wie stellen Sie sich als Schreckgespenst der Industrie vor, bei dem Thema ein Fuß auf die Erde zu bekommen. Oder halten Sie es eher mit Hugo Chavez?

Man kann Venezuela nicht mit Deutschland vergleichen. Unsere Erdölaufkommen sind vergleichsweise gering. Unser Kapital sind die Menschen. Deswegen ist eine gute Wirtschaftspolitik in erster Linie gute Bildungspolitik. In Zeiten des Aufschwungs muss man für schwierigere Zeiten Vorsorge treffen. Zwar sind wir Exportweltmeister, aber die Binnenkonjunktur lahmt. Hier ist eine Nachfrage-Politik nötig, ebenso eine Stärkung der kleineren und mittleren Unternehmen. Das kann man mit einer gezielten Steuerpolitik sehr wohl schaffen. Die Linke hat klare steuerpolitische Vorstellungen und auf diesem Politikfeld, auch dank Oskar Lafontaine, richtig zugelegt.

In der SPD wird heftig um die Stellvertreter des Vorsitzenden gerungen. Kurt Beck sieht keinen Ostdeutschen mehr neben sich. Freuen Sie sich, dass die SPD es Ihnen so leicht macht, im Osten zu punkten?

Das ist zwar nicht nur an Personen gebunden, aber wir werden die einzige Partei sein, in der Ostdeutsche weiterhin etwas zu sagen haben. Das ist auch gut so. Und dass die SPD sich so entscheidet, kann ich nur bedauernd beobachten. Wenn die SPD die neuen Länder aufgeben will, dann ist das ihre Entscheidung. Wir sind gerne bereit, uns noch mehr für sie zu engagieren.

Die große Koalition streitet um den Mindestlohn - momentan mit offenem Ausgang. Was schätzen Sie, wie der Kampf ausgeht?

Beim Thema Mindestlohn verweise ich darauf, dass die CDU ihn noch vor der Bundestagswahl völlig ausgeschlossen hat. Genauso die SPD. Selbst bei den Gewerkschaften waren nur wenige dafür. Hier hat die Linke gezeigt, dass sie gesellschaftspolitisch für Veränderungen sorgen kann. Inzwischen sind alle Gewerkschafter dafür, inzwischen ist die SPD dafür. Ich bin sicher, es wird einen gesetzlichen Mindestlohn geben - so wie in 20 von 27 europäischen Ländern auch. Die Menschen müssen von ihrer eigenen Arbeit leben können.

Schließen Sie sich der gewerkschaftlichen Forderung von 7,50 Euro pro Stunde an?

Die Linkspartei hat als erstes eine Kampagne für den Mindestlohn durchgeführt. Da hieß es "8 Euro plus", das ist unser Ziel. Wobei ich nicht um den einen oder anderen Cent streiten will. Aber acht Euro sind angemessen. Wissen Sie, die Zahl derjenigen, die zu Dumpinglöhnen arbeiten, liegt bei fast einer Million. Das sind Menschen, die einen Vollzeitjob haben und dennoch Transferleistungen bekommen - das ist doch nicht normal. Das muss abgestellt werden.

Können ostdeutsche Betriebe einen Mindestlohn überhaupt finanzieren?

Ja, selbstverständlich, denn ein Mindestlohn gilt für alle. Es gibt dann kein Problem mit der Konkurrenzfähigkeit. Die Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass keine Arbeitsplätze vernichtet werden. Im Gegenteil: Die Konsum-Nachfrage steigt. Sehen Sie, in Mecklenburg-Vorpommern gibt es die niedrigsten Durchschnittseinkommen in der Bundesrepublik - und trotzdem ist die Arbeitslosigkeit am höchsten. Wenn die Theorien der Mindestlohn-Gegner stimmen würden, sähe das ganz anders aus.

Sie haben lange gegen Hartz IV gekämpft. Inzwischen hat man den Eindruck, das Modell ist in der Gesellschaft anerkannt. Machen Sie auch langsam Ihren Frieden mit Hartz IV?

Nein, das machen wir nicht. Ich habe kürzlich noch auf einer Montagsdemo gesprochen. Es ist ausgeschlossen, dass man von dieser Summe Geld leben kann. Wir bleiben dabei: Hartz IV ist Armut per Gesetz und muss überwunden werden. Diejenigen, denen es mit Hartz IV besser geht, sind die große Minderheit.

Herr Bartsch, waren Sie schon mal in Heiligendamm?

Nicht nur ein Mal, Heiligendamm befindet sich in meinem Heimatland. Es erlangt jetzt eine gewisse Berühmtheit, aber eben auch eine traurige Berühmtheit. Was da an Sicherheitsmaßnahmen läuft, und dass jeder Geheimdienst da durchgegangen ist und seine Anforderungen gestellt hat, die dann finanziert wurden, das kann nicht sein. Ich bin froh, dass die Menschen mit friedlichem, kreativen Protest zeigen, dass die Politik dieser G8 auch für die Armut in der Dritten Welt verantwortlich ist. Deswegen unterstützt meine Partei auch die Proteste.

Wenn Sie George W. Bush auf dem Gipfel ein Zettelchen ins Jackett schmuggeln könnten - was stünde darauf?

Gute Reise – und tschüss.

(Die Fragen stellte Jochen Müter)

Quelle: ntv.de

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