Dossier

Vor den Gefängnistoren Wohnen in Stammheim

Nur widerwillig reden die Einwohner von Stuttgart-Stammheim über diese Vergangenheit ihres Stadtteils. Mit einem Kopfschütteln wimmeln sie Fragen ab nach jener Zeit, als ihr Gefängnis wegen der inhaftierten RAF-Terroristen bekannter war als der Stadtteil selbst. "Manchmal ist Stammheim sogar bekannter gewesen als Stuttgart", erinnert sich Alfred Motzer vom Heimatmuseum. Damals, vor 30 Jahren, seien viele Stammheimer sogar im Urlaub auf ihre Herkunft angesprochen worden. "'Ach, ihr kommt aus Stammheim, das kennen wir', hieß es häufig", sagt Motzer. Auch viele Scherze mussten sich die Stammheimer anhören: "Na, habt ihr mal wieder Freigang?"

Dass Witze wie dieser auch einen wahren Kern hatten, wissen die Stammheimer nur zu gut. Während der RAF-Prozesse in der Vollzugsanstalt glich ihr Stadtteil einer Festung: Kontrollen, Hubschrauberlärm - und Journalisten, die um Telefone kämpften. Handys gab es damals noch nicht. In der Festung saßen 1977 als prominenteste Häftlinge die RAF-Terroristen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe. Die zeitweilig ebenfalls in Stammheim inhaftierte Ulrike Meinhof hatte dort 1976 Selbstmord begangen.

Überwacht und kontrolliert

"Überall war berittene Polizei, im Umkreis von einem Kilometer um die Haftanstalt wurde alles überwacht" sagt Motzer. Bei einer Weihnachtsfeier des SPD-Ortsvereins seien plötzlich Männer mit Maschinenpistolen hereingestürmt, auf der Suche nach Terroristen. Seine Frau sei oft nach Hause gekommen und habe von Polizisten in Zivil berichtet, die vorgaben, in ihren Autos Zeitung zu lesen. "Aber die haben immer über den Rand der Zeitungen rübergeschaut."

Nie durften die Stammheimer ohne Personalausweis aus dem Haus gehen. Ein Bekannter habe einen Acker direkt hinter der Haftanstalt gehabt. Sonntags nach der Kirche sei der Bauer oft aufs Feld gegangen, um nach der Ernte zu sehen. "Da haben sie ihn kontrolliert, ob er ein Funkgerät dabei hat oder Zeichen gibt", erinnert sich der 83-Jährige. Und wenn der Bauer wochentags auf seinem Feld arbeitete, hätten die Polizisten heimlich seinen Essenskorb durchsucht.

Nur einmal hätten die Bauern einen Vorteil davon gehabt, dass ihre Felder direkt am Bretterzaun des Gefängnisses lagen, sagt Motzer: Als RAF-Terroristen 1977 die Lufthansa-Maschine "Landshut" entführten, um ihre inhaftierten Komplizen freizupressen, konnten die Bauern "Heerscharen von Journalisten" einen Platz am Bretterzaun vermieten.

Von Berit Schmidt, dpa

Quelle: ntv.de

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