Mindestlohn Worum geht es?
10.05.2007, 13:42 UhrDie Verhandlungen zwischen Union und SPD über die Einführung von Mindestlöhnen dauern schon Monate. Ob es beim Treffen der Koalitionsspitzen am Montag zu einem Durchbruch kommt, ist zumindest fraglich. Die Materie ist kompliziert.
Die Ausgangslage: Die Höhe des Lohns wird grundsätzlich im Arbeitsvertrag festgelegt. Besteht ein Tarifvertrag, gelten dessen Bedingungen, wenn diese für den Arbeitnehmer besser sind und er für das Arbeitsverhältnis tatsächlich anzuwenden ist. Für die Gewerkschaften und auch Vizekanzler Franz Müntefering (SPD) sind inzwischen manche dieser Tariflöhne zu niedrig, von vielen frei ausgehandelten Gehältern im Niedriglohnbereich ganz abgesehen.
Als Beispiel wird stets der tarifliche Stundenlohn für Friseusen in Thüringen von 3,18 Euro angeführt. Wenn in der EU in den nächsten Jahren alle Arbeitnehmer - auch die aus Osteuropa - frei entscheiden können, wo sie arbeiten wollen, werde sich der Druck noch erhöhen, befürchten sie. Die Union stemmt sich vehement gegen Mindestlöhne auf breiter Front. Sie befürchtet den Abbau von Arbeitsplätzen, weil Mindestlöhne höhere Kosten bedeuteten.
Allgemeinverbindlichkeitserklärung: Für einen Teilaspekt des Problems bietet das geltende Arbeitsrecht eine Lösung. Tarifverträge gelten nur für die Arbeitnehmer, die in der Gewerkschaft sind, es sei denn, das Unternehmen hält sich freiwillig daran. Sofern kein Firmentarifvertrag abgeschlossen wird, sind auch nur die Unternehmen gebunden, die im Arbeitgeberverband sind. Der Bundesarbeitsminister kann jedoch einen Tarifvertrag für allgemein verbindlich erklären - aber nur, wenn beide Tarifparteien im Tarifausschuss zustimmen. Dann gelten die Bedingungen dieses Vertrages für alle Arbeitnehmer.
Der Arbeitsminister kann also die Tarifvertragsparteien - auch die Arbeitgeber - nicht überspielen. Immerhin bietet das Instrument die Möglichkeit, die dort festgelegten Mindestarbeitsbedingungen für alle Firmen und Arbeitnehmer in einem Bezirk verbindlich zu machen. Die Arbeitgeber verweisen darauf, dass sie sich so gut wie nie entsprechenden Ansinnen der Gewerkschaften widersetzt hätten.
Verbot sittenwidriger Löhne: Die Arbeitsgerichte gehen schon jetzt gegen sittenwidrigen Lohnwucher vor. Voraussetzung ist, dass sich der Arbeitnehmer wehrt. Bisher sind solche Klagen aber selten. Die Gerichte sind sich nicht immer einig, wann die Grenze der Sittenwidrigkeit erreicht ist. Häufig gelten Entgelte als sittenwidrig, wenn sie 30 Prozent unter dem Tarifgehalt oder der ortsüblichen Bezahlung liegen. In einigen Urteilen wird sogar eine Unterschreitung um 50 Prozent akzeptiert. Auch die Union kann sich nun vorstellen, das Verbot sittenwidriger Löhne durch ein Gesetz präziser zu fassen.
Arbeitnehmer-Entsendegesetz: Seit 1996 existiert noch eine weitere Möglichkeit, bestimmte Lohnhöhen verbindlich zu machen. Das Ziel des Entsendegesetzes war, in der Baubranche ausländische Billigarbeiter fern zu halten. Ausländischen Unternehmen wird vorgeschrieben, ihre Arbeitnehmer zu den in Deutschland üblichen Konditionen zu bezahlen. Zuletzt wurde die Gebäudereinigerbranche in die Regelung einbezogen, mit einem Mindestlohn von 7,87 Euro im Westen und 6,36 Euro im Osten.
In dem Gesetz wird dem Arbeitsminister die Befugnis eingeräumt, einen Tarifvertrag für die Branche durch Verordnung für verbindlich zu erklären, auch wenn die Arbeitgeber damit nicht einverstanden sind. Anders als bei der Allgemeinverbindlichkeit ist also nicht Voraussetzung, dass sich Gewerkschaften und Arbeitgeber einig sind.
Gesetzlicher Mindestlohn: Völlig losgekoppelt von Tarifverträgen wäre die Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns, wie ihn die Gewerkschaften fordern. 7,50 Euro soll er betragen - in West wie Ost. Müntefering will das zur Sprache bringen, favorisiert aber offenbar die Entsendegesetz-Variante unter Einbeziehung möglichst vieler Branchen. Union und Kanzlerin widersetzen sich einem gesetzlichen Mindestlohn.
Kompromissmöglichkeiten: Am Montag wird es daher vor allem um zwei Fragen gehen: Um welche Branchen wird das Entsendegesetz ausgeweitet und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen. Wahrscheinlich wird sich die Kanzlerin gegen eine Einbeziehung des Fleischerhandwerks oder der Postdienste gar nicht sperren. Aber sie wird wohl darauf bestehen, dass der Arbeitsminister nicht im Alleingang durch Rechtsverordnung einen Tarifvertrag für verbindlich erklären kann.
(Ulrich Scharlack, dpa)
Quelle: ntv.de