Dossier

"Früher wäre sowas nicht passiert" Wundenlecken in Dresden

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(Foto: dpa)

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Die SPD ist im Stimmungstief und ringt wieder einmal um ihren Kurs. Der Parteitag soll herausfinden, wie es weitergeht. Nur eines scheint bislang eindeutig: Früher ist vorbei.

Vorabend des SPD-Parteitages, Dresden, Hauptbahnhof, Taxistand, -zig Delegierte, soeben dem ICE aus Berlin entstiegen. "Was ist bloß aus der Arbeiterpartei geworden", sagt einer, der dem Dialekt nach aus dem Nordwesten stammen muss, "wenn so viele Parteitagsdelegierte mit dem Taxi fahren?" "Dann gehen wir eben zu Fuß!", erwidert eine andere. "Nur wo genau ist das Hotel?" Der Nächste zieht einen Stadtplan aus der Tasche. "Wenn die Sonne scheinen würde, dann wäre mein Orientierungssinn besser." Trotzdem warten alle weiter auf die Taxis, die nicht kommen wollen. "Die müssen hier gar nicht wissen, dass SPD-Parteitag ist." Schweigen. Als dann doch mehrere Taxis ankommen, stürzt die Berliner SPD-Bundestagsabgeordnete Eva Högl aus der Schlange und besteigt mit ihrem Begleiter eines davon. Die Gruppe der Nordfrauen und – männer wäre eigentlich auch noch nicht an der Reihe, klettert aber gemeinsam in ein Sammeltaxi. Einer bleibt mit mir zurück und seufzt: "Früher wäre so etwas nicht passiert."

Müntefering hat einige heikle Themen umschifft.

Müntefering hat einige heikle Themen umschifft.

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Doch früher ist vorbei. Der Parteitag soll herausfinden, wie es morgen weitergeht. Heute ist Freitag. Franz Müntefering, der scheidende Parteivorsitzende, hält eine Rede, in der er sagt, die SPD wäre kleiner geworden, die sozialdemokratische Idee nicht. Und schon gar nicht wäre sie am Ende. Er hat Recht. Nur: Repräsentiert die SPD heute die sozialdemokratische Idee von Gerechtigkeit und Solidarität. Man wolle Volkspartei bleiben, erinnert der Sauerländer im 50sten Jahr nach Verabschiedung des Gothaer Programms, mit dem sich die Sozialdemokraten von der Arbeiterpartei verabschiedeten und sich das Ziel stellten Volkspartei zu werden. Der Kapitalismus müsse gezähmt werden. Die SPD will also wieder die Rolle des Dompteurs übernehmen.

Gleich am Eingang prangt das Bild von August Bebel. Der wollte "diesem System keinen Mann und keinen Groschen" geben. Einer der Redner erinnert daran, dass Dresden die Geburtsstadt von Herbert Wehner ist, des einstigen Kommunisten, der als Sozialdemokrat einer der Hauptverantwortlichen für Godesberg ist. Das ist das Dilemma der SPD. Allen Leuten Recht getan, ist eine Kunst die niemand kann. Müntefering erntet Applaus, manchmal eifrigen, wenn er die Beseitigung der Kinderarmut durch die Schaffung von Arbeitsplätzen für die erwerbslosen Eltern fordert. Manchmal zornigen oder gar keinen, etwa, wenn er sich über gerechte Altersbezüge auslässt und sich um eine klare Distanzierung der Rente mit 67 drückt. Auch das Wort IV kommt nicht vor.

Ottmar Schreiner geht mal wieder mit seiner Partei hart ins Gericht.

Ottmar Schreiner geht mal wieder mit seiner Partei hart ins Gericht.

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Ex-Generalsekretär Klaus-Uwe Benneter meint im Gespräch, viele Menschen hätten Angst vor einem sozialen Abstieg, auch solche, die es gar nicht treffen würde. Also doch ein Kommunikationsproblem? Schon der erste Diskussionsredner aus Bayern spricht von zwei Realitäten, in denen die SPD lebe. Die eine wäre die der Parteispitze, die andere die der Basis, die mit "den Menschen draußen im Land" konfrontiert sei. Die Parteispitze habe eine Politik betrieben, die an der Basis und "im Land" keine Mehrheit gehabt habe und habe. Die Stichworte sind die, welche Franz Müntefering umschifft hat: Afghanistan, Bahnprivatisierung, Leiharbeit, Hartz IV, Rente mit 67. Das geht dann im Tenor so weiter.

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Der Parteilinke Ottmar Schreiner sagt, seine Partei habe das Gegenteil von sozialdemokratischer Arbeitsmarktpolitik betrieben. Wenn sich die SPD nicht einmal mehr trauen würde, eine Vermögenssteuer zu fordern, was wäre dann an ihr noch sozialdemokratisch? Alle warten gespannt, auf die Rede des designierten Münte-Nachfolgers Sigmar Gabriel. Der begann seine politische Laufbahn bei der Sozialistischen Jugend Deutschland "Die Falken". Die sind übrigens keine SPD-Gliederung, sondern stehen weit links von der Partei. Dem Stand der Falken stattete Gabriel vor Tagungsbeginn einen Besuch ab. Falken sind der Sonne bekanntlich etwas näher als der gemeine Erdenmensch. Man darf gespannt sein, ob die Sonne wieder so scheint, dass die Sozialdemokraten nicht nur am Taxistand ihren Orientierungssinn zurückgewinnen.

 

Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.

Quelle: ntv.de

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