Dossier

Wahlkampf mit einer Toten Wut in Pakistan

Deen Mohammad hält eine blaue Plastiktüte in der Hand. "Ich habe sie leer mitgebracht, und wahrscheinlich werde ich sie wieder leer mit nach Hause nehmen", sagt der 61-Jährige. Den vierten Tag in Folge warte er seit sechs Uhr morgens vor dem Laden in Karachi, in dem subventioniertes Mehl und Speiseöl verkauft werden. Mohammad ist nicht arbeitslos. Die Grundnahrungsmittel, die binnen kurzer Zeit drastisch teurer geworden sind, kann er sich ohne staatlichen Zuschuss trotzdem nicht mehr leisten. Vor der Parlamentswahl am Montag ist die Wut auf die Regierung von Präsident Pervez Musharraf in Pakistans größter Stadt deutlich zu spüren.

"Diese Regierung ist verantwortlich für den Untergang der Armen", sagt Mohammad. Er und andere vor dem Laden haben auf dem freien Markt eingekauft, bevor die Preise für Mehl und Speiseöl in die Höhe schossen. Als Verkäufer muss Mohammad von weniger als 50 Euro im Monat seine Familie ernähren, "wie kann man damit überleben", fragt er. Nun wartet er auf einen der Lastwagen, der die qualitativ schlechte Ware anliefern soll. Danach beginnt der Kampf um die Verteilung, bei dem er sich gegen die Jüngeren in der Schlange in den vergangenen Tagen nicht habe durchsetzen können. "Ich kann in dem Gerangel mit ihnen nicht mithalten", sagt Mohammad. "Ich habe keine Hoffnung."

Personenkult um Bhutto

Ihre Hoffnung setzen viele Pakistaner auf eine Partei, die ihren Wahlkampf vor allem mit einer Toten bestreitet. Auf Plakaten überall in Karachi, der Hochburg der Volkspartei PPP, blickt die ermordete Ex-Premierministerin Benazir Bhutto mit gütigem Blick auf die Wähler. Um die frühere PPP-Chefin ist ein wahrer Personenkult entflammt. In dem nach dem 19-jährigen Bhutto-Sohn benannten Bilawal-Haus, der Familienresidenz in Karachi, sagt das Parteimitglied Ejaz Durrani: "Ich fühle mich nach ihrem Tod wie eine Waise. Ich war weniger traurig, als meine Mutter und mein Vater starben."

Vor dem Haus spielen PPP-Funktionäre am Wochenende in ohrenbetäubender Lautstärke Bhuttos letzte Rede vom 27. Dezember bei einer Kundgebung in der Garnisonsstadt Rawalpindi ab, wenige Minuten nach der Ansprache wurde sie getötet. Dass nach einer Umfrage nur 16 Prozent der Pakistaner der These der Regierung folgen, muslimische Extremisten hätten Bhutto ermordet, zeigt, wie weit Musharrafs Glaubwürdigkeit erodiert ist - 39 Prozent der Befragten halten die Sicherheitskräfte direkt oder indirekt für verantwortlich. Bhuttos heisere Stimme aus dem Grab verspricht Reformen zum Wohle der Armen, neben dem Lautsprecher schmückt ein Parteianhänger einen Sessel, auf dem ein großes Porträt Bhuttos ruht, mit Rosenblättern.

Drei elfjährige Schülerinnen legen vor dem Bilawal-Haus Blumen auf ein Podest, das von Sträußen bereits gänzlich bedeckt ist. Ariba, eines der Mädchen, schreibt in ein ausliegendes Buch mit Bildern Bhuttos: "Gewinne, PPP, gewinne", das letzte Wort unterstreicht sie. Dass die PPP klar stärkste Partei wird, das sagen Umfragen voraus, und davon gehen Analysten aus - wenn die Wahl denn so frei und fair wird, wie von Musharraf versprochen. Daran aber gibt es erhebliche Zweifel. Vor der Abstimmung berichten nicht nur Oppositionsanhänger, sondern auch pakistanische Medien und unabhängige Beobachter von schweren Manipulationen der Muslim-Liga (Quaid), jener Partei, die Musharraf unterstützt und der dramatische Stimmeneinbußen drohen.

"Politisch bankrott"

Musharraf selber steht nicht zur Wahl, die aber trotzdem zu einem Referendum über seine nach Ansicht der allermeisten Pakistaner verfehlten Politik geworden ist. Die unabhängige Justiz hat er ausgeschaltet. Wirtschaftlich geht es Angehörigen der unteren Einkommensschichten immer schlechter. Während die USA an dem Ex-General als angeblich unverzichtbarem Partner im Kampf gegen den Terror festhalten, versetzen Anschläge die Pakistaner immer öfter in Angst und Schrecken. Dass es ihm nicht gelungen ist, den Extremismus einzudämmen, bewies am Samstag erneut ein Selbstmordattentäter, der auf einer Kundgebung eines von der PPP unterstützten Kandidaten mindestens 40 Menschen mit in den Tod riss.

Der Analyst Ikram Sehgal sagt über sein Land: "Wir sind politisch bankrott." Auch wenn der Präsident am Montag nicht abgewählt werden kann, glaubt Sehgal doch, dass Musharrafs Tage gezählt sind. Nach der Wahl werde ein neuer Premierminister der Opposition Musharraf zur Machtteilung zwingen. "Seine Persönlichkeit erlaubt ihm aber nicht, auch nur für eine Sekunde Macht abzugeben." Die mächtige Armee distanziere sich zugleich immer weiter von ihrem ehemaligen Chef. Maximal sechs Monate, sagt Sehgal, gebe er Musharraf noch als Präsident. Die Zeitung "Dawn" meint vor der Wahl, Musharraf habe jeden Bezug zur Realität verloren. "Wir haben zu lange unter Dummköpfen gelitten, ohne etwas dagegen zu unternehmen."

Von Can Merey, dpa

Quelle: ntv.de

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