Die Toten als Waffe Zahl der Opfer nicht nachprüfbar
15.08.2008, 15:14 UhrMehr als 1400 Menschen seien tot, sagte der selbst ernannte südossetische Präsident Eduard Kokojty am vergangenen Freitag. Erst in der Nacht zuvor waren die georgischen Truppen in die abtrünnige Provinz im Norden des Landes eingerückt, doch an der hohen Zahl der Toten ließ Kokojty nur wenig Zweifel. Die Angaben müssten zwar noch überprüft werden, sie basierten aber auf Informationen von Eltern der Opfer, sagte er. Zeitweilig war von bis zu 2000 Toten die Rede, was Georgiens Präsident Michail Saakaschwili als "unverhohlene Lüge" zurückwies. Von unabhängiger Seite ist die tatsächliche Zahl der Toten bis heute kaum zu beziffern. Für die verfeindeten Parteien im Kaukasus-Konflikt ist sie jedoch eine wahre Waffe.
Für Russland stellte sich die Sachlage klar dar: Mit der mutmaßlich schweren Gewalt der georgischen Truppen gegen die Menschen in Südossetien begründete Moskau sein bewaffnetes Einschreiten in der Region. Am Wochenende schloss sich Moskau den südossetischen Angaben von inzwischen 1600 Toten an und bezichtigte Georgien des "Völkermords" an der südossetischen Bevölkerung. Zeitweise stand sogar eine Zahl von 2000 Toten im Raum.
Ermittlungen der russischen Justiz
Das Vorgehen der georgischen Armee gehe über den "Rahmen von normalen Militäraktionen" hinaus, sagte der russische Ministerpräsident Wladimir Putin nach seinem Besuch in einem Flüchtlingslager in Nordossetien. Er forderte Präsident Dmitri Medwedew auf, Vorwürfe des Völkermords durch die georgischen Truppen zu untersuchen. Entsprechende Ermittlungen leitete die russische Justiz inzwischen ein.
Eine "unverhohlene Lüge" seien die russischen und südossetischen Angaben zur Totenzahl, schimpfte dagegen Georgiens Präsident Saakaschwili. Er sprach von einer "Kampagne der Desinformation", die Russland ganz im "sowjetischen Stil" führe. Auch die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) stellte die von Russland und Südossetien verbreiteten Totenzahlen in Frage. "Sie erscheinen mir zweifelhaft, viel zu hoch", sagte deren US-Vertreterin Anna Neistat dem russischen Radiosender "Moskauer Echo" nach Gesprächen mit Ärzten in der südossetischen Hauptstadt Zchinwali. In bewaffneten Konflikten wie diesem liege die Zahl der Verletzten normalerweise drei Mal über der der Toten. "Bis heute habe ich nichts von 6000 oder mehr Verletzten gehört", sagt sie.
Genaue Opferzahl wird lange unklar bleiben
Wie viele Menschen bei den blutigen Kämpfen wirklich getötet wurden, wird wohl noch lange unklar bleiben - wenn es überhaupt eine endgültige Klärung geben kann. In Zchinwali etwa ist das Leichenschauhaus seit den Kämpfen nicht mehr in Betrieb, die meisten Leichen werden daher in das Krankenhaus der Stadt gebracht. Während ein Arzt HRW von 44 Toten berichtete, sprachen russische Ermittler, die dem Vorwurf des Völkermords nachgehen, davon, bereits 60 Leichen von Zivilisten identifiziert zu haben. "Es ist schwierig, eine genaue Zahl zu liefern. Viele Menschen wurden einfach in Gärten begraben", sagte der Sprecher der Ermittler, Alexander Dyrmanow.
Der Generalstaatsanwalt der selbst ernannten südossetischen Regierung wiederum bezifferte die Zahl der Toten in Zchinwali noch weit höher. "Wir finden immer wieder weitere Leichen", sagte Taimuras Chugajew. 200 seien bereits identifiziert. Mehr als 500 Menschen würden noch vermisst.
Quelle: ntv.de, Alexander Osipovitch, AFP