"Reue ist nicht vorgesehen" n-tv.de-Interview zur RAF
12.02.2007, 13:44 UhrNach mehr als 24 Jahren im Gefängnis kommt die frühere RAF-Terroristin Brigitte Mohnhaupt in sechs Wochen auf freien Fuß. n-tv.de sprach über den schwierigen Umgang mit der RAF-Vergangenheit mit Dr. Butz Peters, Jurist und Autor. Seine RAF-Geschichte "Tödlicher Irrtum" erscheint im April als Taschenbuch.
n-tv.de: Waren Sie von der Heftigkeit der Debatte um die Strafaussetzung von Brigitte Mohnhaupt und die Begnadigung von Christian Klar überrascht?
Dr. Butz Peters: Ich war darüber sehr überrascht, weil zuvor 16 zu lebenslänglichen Haftstrafen verurteilte RAF-Mitglieder aus der Mohnhaupt-Ära wieder auf freien Fuß gekommen sind, entweder durch eine Gerichtsentscheidung oder aber durch einen Gnadenerlass des Bundespräsidenten. Also praktisch sind alle draußen, nur bei den beiden letzten, da gibt es jetzt plötzlich eine große Diskussion. Das ist vielleicht dadurch verständlich, weil Mohnhaupt und Klar die beiden Köpfe der so genannten "Zweiten RAF-Generation" waren. Man kann sagen, ohne Brigitte Mohnhaupt hätte es den "Deutschen Herbst" nicht gegeben. Sie kam am 8. Februar 1977 frei, war zuvor ein Dreivierteljahr in der siebten Etage in Stammheim mit Andreas Baader zusammen. Dort hat Baader ihr sinngemäß gesagt: "Organisiere die Big-Raushole für mich" und sie hat dann schnurstracks die Anschläge organisiert, Buback, Ponto, Bundesanwaltschaft, die Entführung von Hanns Martin Schleyer. Und dann kam am Ende die Entführung der "Landshut".
Eigentlich sind das ja juristische Routinevorgänge. Was bewegt die Menschen mehr als 15 Jahre nach den letzten RAF-Morden noch so sehr an dieser Terrororganisation?
Ich glaube, die RAF ist ein virulentes Thema und wird es noch für viele Jahre sein. Es gibt die Menschen, die den Revolutionstraum aus dem Jahr 1967/68 versuchten, zu verwirklichen. Das heißt, da gibt es ein Lager, in dem man sich dem fast genossenschaftlich noch verbunden fühlt. Auf der anderen Seite sind die Angehörigen der Opfer, z.B. Waltrude Schleyer, die Witwe von Hanns-Martin Schleyer, ist heute 90. Vor dreißig Jahren hat die RAF ihr den Mann genommen mit drei feigen Schüssen in den Hinterkopf. Es ist ja klar, dass sie immer wieder traurig ist, dass sie dreißig Jahre ohne ihren Mann leben musste. Und da kommt das immer alles wieder hoch, weil die RAF-Opfer nicht glauben können, dass die Mörder ihrer Männer und Väter einfach so frei kommen. Etwas anders ist die Situation bei Michael Buback, dem Sohn des ermordeten Generalbundesanwalts Siegfried Buback. Er möchte wissen, wer seinen Vater erschossen hat, um seine Vergangenheit bewältigen zu können. Er sagt, ich möchte das einfach wissen, aber es ist auch gut, dass die Angehörigen das nicht entscheiden müssen.
Aber sind Reue oder Vergebung Anliegen, mit denen man Mohnhaupt oder Klar erreichen kann?
Das ist schwer zu sagen. Mit einer Tatbeichte, wie Michael Buback sie möchte, wird man sie wohl kaum erreichen, weil es bei den RAF-Tätern eisernes Gesetz ist, dass Täterwissen nicht preisgegeben wird. Es gibt nur ganz wenige Fälle, in denen RAF-Mitglieder, die ganz oben mitgemischt haben, später umfassend berichtet haben, was eigentlich geschehen ist. Das ist vorgekommen, bei den RAF-Aussteigern, die in der DDR gefasst worden sind, weil sie die Kronzeugenregelung in Anspruch nehmen wollten. Ansonsten waren die bewaffneten Kämpfer der ersten Reihe der RAF immer sehr verschwiegen. Da gibt es eine Art eisernes Gesetz, dass man nichts sagt, mit der Ausnahme vielleicht von Peter-Jürgen Boock. Also, was das Täterwissen angeht, ist nicht damit zu rechnen, dass es da zu Aussagen kommen wird. Was den Schmerz über die Menschen angeht, die da umgekommen sind, da gibt es eine sehr zurückhaltende Erklärung von Christian Klar dazu und Brigitte Mohnhaupt war da auch immer sehr schmallippig. So richtige Reue hat es da nicht gegeben. Und mit dem Reue-Argument wird man sie auch nicht erreichen. Ich hab in vielen Gesprächen mit ehemaligen RAF-Mitgliedern immer wieder die Argumentation gehört: „ Man hat uns so vieles genommen, die Freiheit, unser Leben über viele, viele Jahre, was man uns nicht nehmen kann, ist unsere Vergangenheit. Wir haben das damals für richtig empfunden, und da werden wir jetzt nicht in Sack und Asche gehen. Aber wir versichern, und das verlangt ja der Staat von uns, dass wir nicht wieder zum bewaffneten Kampf zurückkehren. Also wir werden in Zukunft kein Sicherheitsrisiko mehr darstellen. Und das haben Mohnhaupt und Klar und die anderen auch klar erklärt. Karl-Heinz Dellwo hatte das ja 1992 für sich und sechs andere RAF-Mitglieder erklärt, und das hat viel Bewegung in die Gefangenenfrage gebracht. Denn diese Gruppe sollte ja nicht entlassen werden, weil nicht klar war, ob sie nicht zur Gewalt zurückkehren würde. Bei Brigitte Mohnhaupt ging es einfach darum, dass sie beantragt hat, vorzeitig entlassen zu werden. Da entscheiden die Richter nach Paragraph 57 a des Strafgesetzbuches. Wenn die Mindestdauer der Strafe verbüßt ist, kann der Betroffene freikommen, wenn die Sicherheit der Allgemeinheit nicht mehr gefährdet ist. Die Richter mussten also einschätzen: Wie hoch ist das Rückfallrisiko, kann der Betroffene noch einmal zu einer Gefahr für die Allgemeinheit werden oder nicht? Mohnhaupt und Klar haben erklärt, dass sie keine Gewalt mehr anwenden werden und Mohnhaupt hat die besten Prognosen. Sie ist neunmal aus der Haftanstalt ausgeführt worden, stets in Begleitung, aber auch stets ohne Beanstandung und selbst die Bundesanwaltschaft hat ja beantragt, dass die Mohnhaupt vorzeitig entlassen wird. Aber ich habe das selbst in Gesprächen mit früheren RAF-Mitgliedern erlebt, dass da wenig Mitgefühl ist. Die RAF hat insgesamt 34 Menschen umgebracht und in ihrer Auflösungserklärung von 1998 findet sich kein Wort des Mitgefühls mit den Opfern oder deren Angehörigen. Das passt nicht in ihre Ideologie.
Gibt es denn in Deutschland den Wunsch, einen Schlussstrich unter den so genannten "Deutschen Herbst" zu ziehen?
Nach dreißig Jahren ist das sicher so. Wenn Mohnhaupt frei kommt und Christian Klar ein Gnadengesuch gestellt hat, und die Bundespräsidenten in acht Fällen solchen Gesuchen bereits entsprochen haben, dann spricht alles für einen Schlussstrich. Die RAF-Häftlingsfrage wird sich ja in jedem Fall bis zum Ende dieses Jahrzehnts geklärt haben. Auch Eva Haule hat im vergangenen Jahr ihre Mindestvollstreckungsdauer festgesetzt bekommen, das heißt sie könnte möglicherweise im August gehen, nach einer weiteren Gerichtsentscheidung wie jetzt bei Brigitte Mohnhaupt. Birgit Hogefeld ist 1993 gefasst worden, ihre 15 Jahre sind im nächsten Jahr um, dann kann auch sie einen Antrag stellen. Bei ihr ist eine besondere Schwere der Schuld festgestellt worden, andererseits ist sie diejenige, die sich am deutlichsten von allen erklärt hat, dass sie bereut, was die RAF getan hat. Sie hat das als Irrweg bezeichnet und die RAF aus dem Gerichtssaal heraus aufgefordert, sich aufzulösen. Was die Geschichte angeht, wird uns das natürlich weiter beschäftigen, auch beim 40. Jahrestag werden noch Erinnerungen wach werden, weil ja viele der jetzt 50- bis 60-Jährigen diese Ereignisse aus nächster Nähe miterlebt haben. Das war etwas völlig Einmaliges in der Geschichte der Bundesrepublik, in dieser Grausamkeit. Diese „bleierne Zeit bleibt einfach bei vielen haften.
Sind denn die RAF-Täter durch die Dauer der Haft und die Haftbedingungen stärker gestraft worden als so genannte Normaltäter?
Also, dass die Haft in einem Hochsicherheitstrakt für den Betreffenden anstrengender ist als im normalen Vollzug, ist völlig klar. Man muss nur auch sehen, dass es immer auch ein Ziel der RAF war, die Häftlinge freizupressen. Die Justiz hat erlebt, dass Häftlinge befreit worden sind, Andreas Baader, es hat später weitere Versuche gegeben, u.a. sollte Horst Mahler mit einem Hubschrauber befreit werden. Das heißt, wenn die Sicherheitsbehörden zu der Einschätzung kommen, dass eine besonders hohe Fluchtgefahr oder Befreiungsgefahr besteht, ist natürlich ihre Aufgabe, dafür zu sorgen, dass so etwas nicht passiert. Das wirkt sich sicher zu Lasten des Häftlings aus. Aber auch besonders gewalttätige Bankräuber oder besonders gefährliche Sexualstraftäter werden anders in den Gefängnissen verwahrt als jemand, von dem keine Fluchtgefahr ausgeht.
Es gibt neben der ersten Generation, die zumeist in Stammheim oder bei Terroraktionen ums Leben kam, und der zweiten Generation, die oft langjährige Haftstrafen verbüßt hat, eine dritte Generation, über die man sehr wenig weiß. Dazu gehören der in Bad Kleinen ums Leben gekommene Wolfgang Grams und die noch inhaftierte Birgit Hogefeld. Kennen wir damit die gesamte RAF?
Also die erste Generation ist völlig bekannt, aus der zweiten Generation ist vieles bekannt. Das hat damit zu tun, dass die ehemaligen RAF-Mitglieder, die zehn Jahre in der DDR gelebt hatten, 1990 gefasst worden sind. Und da gab es die Kronzeugenregelung, und der damalige Generalbundesanwalt Alexander von Stahl hat erklärt, dass diese auch für auch für nicht unmittelbar zu Kommandoebene gehörende RAF-Mitglieder gilt. Daraufhin haben diese Leute sehr viel erzählt, um in den Genuss der Kronzeugenregelung zu kommen. Es gibt da noch einige offene Fragen: Wo war Hanns-Martin Schleyer zuletzt versteckt? Wer gab die tödlichen Schüsse auf ihn ab? Hier schweigen die Täter eisern. Bei der dritten Generation, und das ist der große Unterschied, da ist praktisch alles unbekannt. Das hat damit zu tun, dass bisher nur drei Täter gefasst wurden. Wolfgang Grams ist tot, Eva Haule und Birgit Hogefeld haben zu den Anschlägen nichts ausgesagt und Birgit Hogefeld hat die Kronzeugenregelung ausdrücklich abgelehnt. Es spricht alles dafür, wenn man sich die Taten ansieht, dass im Laufe der 14 Jahre der dritten Generation ungefähr ein Dutzend Menschen an den Taten beteiligt waren. Drei sind nur gefasst worden, und bis 1998 hat es noch zum Teil sehr umfangreiche RAF-Erklärungen gegeben, von Leuten, die bis heute nicht gefasst sind. Da gibt es noch große Fragezeichen im Fall Herrhausen, im Fall Beckurts, im Fall des MTU-Chefs Zimmermann.
Sind diese Dinge denn strafrechtlich noch relevant?
Ja natürlich, es geht hier um Mord und Mord verjährt nie. Es wird ja noch nach drei Tätern gefahndet, wobei man vorsichtig sein muss, wenn man sich Fahndungsplakate des BKA ansieht. Die RAF hat mal gesagt, Fahndungsplakate sind keine Mitgliederlisten der RAF, mehrere abgebildete Personen haben sich freiwillig gestellt und bei denen hat sich herausgestellt, dass sie damit nichts zu tun hatten.
Das Interview führte Solveig Bach
Quelle: ntv.de