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Zwischenruf Afghanistan: Die verpasste Gelegenheit

Etwas mehr Zurückhaltung hätte Merkel gut zu Gesicht gestanden.

Etwas mehr Zurückhaltung hätte Merkel gut zu Gesicht gestanden.

(Foto: AP)

Wenn die Bundeskanzlerin tatsächlich eine größere Geschlossenheit der am Krieg in Afghanistan beteiligten Staaten will, hat sie am heutigen Dienstag einiges getan, was dies wohl eher erschweren wird. Ihre an die Adresse ausländischer Spitzenpolitiker und -militärs gerichtete scharfe Zurückweisung jeglicher Kritik am deutschen Vorgehen dürfte in Brüssel, London, Paris und Washington kaum auf Gegenliebe stoßen. Angela Merkel steht den Peitschen schwingenden Kavallerie- und Indianervergleichen von Finanzminister Peer Steinbrück kaum nach. Etwas mehr Zurückhaltung hätte ihr gut zu Gesicht gestanden. Man muss sich nicht wundern, wenn man in einem Krieg die heißen Kartoffeln an die Verbündeten weitergibt und diese nun mit Retourkutschen reagieren. Gleichwohl wirken die Erklärungen des US-Oberkommandierenden in Afghanistan Stanley McCrystal wenig glaubwürdig. Neue Strategie der Rücksichtnahme auf Zivilisten hin oder her. Schließlich sind die Truppen seines Landes für den Tod von 800 Zivilisten allein im vergangenen Jahr verantwortlich.

Immerhin spricht die Kanzlerin im Unterschied zu ihrem hilflos agierenden Verteidigungsminister nunmehr von einem "Kampf-" statt von einem "Stabilisierungseinsatz". Gleichwohl bleibt es im Clausewitzschen Sinne ein Krieg. Da helfen auch keine semantischen Übungen. Die deutsche Regierungschefin hat die "möglichen" - laut McCrystal tatsächlichen - Opfer unter der Zivilbevölkerung bedauert. Da ist sie immerhin weiter als ihr Grillfreund aus Trinwillershäger Tagen, über dessen Lippen nie entschuldigende Worte kamen. Auch von dessen Nachfolger im Weißen Haus sind Worte der Trauer über zivile Tote nicht bekannt.

Das wird die Toten aber nicht wieder lebendig machen und das Ansehen Deutschlands am Hindukusch nicht aufbessern.

Die auf Frau Merkels Mit-Initiative geplante internationale Konferenz zu Afghanistan wird wenig bringen. Nach acht Jahren Krieg liegt das Land wirtschaftlich am Boden, haben die Taliban mehr Einfluss als je zuvor nach ihrem Sturz, schreitet die Re-Islamisierung immer weiter voran, blüht die Korruption, siegt ein Präsidentschaftskandidat nur durch massiven Wahlbetrug und die Unterstützung skrupelloser Warlords. Statt sich auf die Ansätze einer Zivilgesellschaft zu stützen, werden säkulare Kräfte ausgegrenzt, wenn nicht mehr. Demokratie – selbst für afghanische Verhältnisse – sieht anders aus.

Die Opfer von Kundus werden nicht die letzten sein. Das ist die brutale Logik eines Krieges. Die Große Koalition hätte heute Gelegenheit gehabt, eine Umkehr einzuleiten, an deren Ende eine politische Lösung des Konflikts gestanden hätte. Sie hat die Gelegenheit verpasst.

Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.

Quelle: ntv.de

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