Deutsches Rentendesaster? Armut bringt Profit
03.09.2012, 10:26 Uhr
Die Rente - sicher und sozial?
(Foto: dapd)
Erst beschließt die Bundesregierung die Senkung des Rentenbeitrags. Dann präsentiert Sozialministerin von der Leyen erschreckende Zahlen – jeder dritte Vollzeitbeschäftige ist von Altersarmut bedroht. Richtig ist: Zeitgemäß ist der Generationenvertrag nicht. Die Zuschussrente aber auch nicht.
Die gute Nachricht ist: Die Kassen sind voll, der Rentenbeitrag in Deutschland soll von derzeit 19,6 auf 19 Prozent gesenkt werden. Das sind im Schnitt unter acht Euro pro Monat weniger. Die Warnung Ursula von der Leyens, jeder, der weniger als 2500 Euro brutto pro Monat verdiene, könne mit Eintritt ins Rentenalter direkt zum Sozialamt gehen, ist kurzfristiges Kalkül. Die Bundessozialministerin will ihr eigenes Modell der Zuschussrente bewerben.
Alle sind aufgeschreckt – die Opposition, die eigene Partei, auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) steigt in die Diskussion ein. Eine dringend notwendige öffentliche Debatte über die Zukunft der Rente, die längst nicht mehr sicher ist. Jeder dritte Vollzeitbeschäftigte wäre betroffen, heißt es.
Das Existenzminimum liegt derzeit bei unter 700 Euro. Damit sind kaum die Finanzierung einer Wohnung und der kompletten Lebens(er)haltung möglich. Besonders nicht für Ältere, die häufig auf Versorgung im urbanen Umfeld angewiesen sind. Von möglichen Kosten einer Betreuung im Heim ganz zu schweigen.
Damals wie heute Kosmetik
Dass die eigene Partei im Kabinett, also auch unter Beteiligung von der Leyens, den Beitrag senken will, ruft Unverständnis hervor. Die Union sollte sich von Vor-Wahlkampfgeschenken verabschieden und Sachpolitik betreiben. Und in diesem Rahmen durchsetzen, dass die Alternative keine Demografie-Reserve nach Vorstellung des DGB ist, sondern das deutsche Rentenkonzept auf den Prüfstand kommen muss.
So sind die Rentenauszahlungen, die bis 2030 von 51 auf 43 Prozent gesenkt werden, ebenfalls nur Kosmetik für ein demografisches Problem, das sich seit Jahrzehnten ankündigt. Der Generationenvertrag ist nicht ausgelegt für eine schrumpfende Bevölkerung. Er ist nicht ausgelegt für Lebensentwürfe flexibler Beschäftigung, auf drei Minijobs pro Person statt einer Festanstellung. Nicht für Scheinselbstständige, die nur deshalb von Unternehmen bezahlt werden. Und auch nicht für viele ehemalige Arbeitslose, die von der Bundesagentur für Arbeit in die Selbstständigkeit gebracht wurden, damit sie den Sozial- und später Rentenkassen nicht zur Last fallen.
In den neuen Bundesländern werden die ersten Betroffenen Menschen sein, deren Beschäftigungsbiografien unter den Wendejahren gelitten haben; in den alten die Frauen, die auf das Gesellschaftsmodell Haus, Kind, Herd sowie das Versprechen des ehemaligen CDU-Ministers Norbert Blüm gesetzt haben. Langfristig sieht der DGB die breite Mittelschicht bedroht.
Unabhängige Prüfung nötig
Altersarmut, das klingt nach Angstmacherei. Doch sie wird bald in der Breite der Gesellschaft bitterer Ernst, wenn sich diese oder eine künftige Bundesregierung nicht etwas einfallen lässt. Es muss von unabhängiger Seite geprüft werden, wie der Generationenvertrag neu gestaltet werden kann, oder ob er begraben werden muss. Etwa mit einer staatlich verwalteten Individualrente. Parteien denken in Wahlkampfzyklen, nicht in Generationen. Diese aber brauchen mehr als von der Leyens Zuschusskonstrukt.
Bislang heißt es meist, die Menschen in Deutschland sollten sich privat besser absichern. Das mag das Risiko etwas mildern. Den Staat aus der Verantwortung entlässt es nicht. Die schlechte Nachricht dabei ist: Die Anbieter von Zusatzversicherungen wollen Geld verdienen. Und auch Armut bringt Profit.
Quelle: ntv.de