Zwischenruf Benzinpreise: Streit ist grotesk
02.04.2012, 16:09 UhrLägen ÖPNV und regionaler Bahnverkehr nicht am Boden, wären die meisten nicht aufs Auto angewiesen. Die Bundesregierung muss nach Luxemburger Vorbild eine Preisobergrenze für Sprit festlegen. Ein generelles Tempolimit von 130 km/h würde zudem den Spritverbrauch senken. Schon zu Ostern droht an den Tankstellen ein neues Preisfeuerwerk.
Es ist so wie bei nicht ausgeheilter Grippe: Nach mehr oder weniger kurzer Zeit meldet sich die Krankheit zurück, und meist wird sie schlimmer. Dabei gäbe es die Diskussion gar nicht, zumindest nicht in dieser Schärfe, wenn sich der regionale und lokale Bahnverkehr nicht in einem bedauernswerten Zustand befänden. Es geht nun einmal nicht mit dem Fahrrad, wenn zwischen Wohn- und Arbeitsort 50 Kilometer oder mehr liegen. Wenn die Bahn nicht allenthalben kleinere Strecken dichtgemacht hätte, müssten - zum Beispiel Zulieferer - nicht auf nunmehr preisgünstigere Lastkraftwagen zurückgreifen.
Nicht nur vor diesem Hintergrund mutet der Streit um den Benzinpreis grotesk an. Was ist nicht schon alles gejammert worden über die Höhe der Preise und Preisabsprachen. Die gewaltige Macht des Bundeskartellamtes wollte man gegen die Preistreiber einsetzen, für ein Europäisches Kartellamt wolle man sich einsetzen, steht im Koalitionsvertrag von 2009. Geschehen ist nichts. Denn: Verbotene Preisabsprachen habe man nicht nachweisen können. Dabei weiß jedes Roller fahrende Kind, dass die Tankwarte die Preisveränderungen beim Nachbarwart an die jeweilige Zentrale weitergeben, die dann Order geben, gleichfalls an der Schraube zu drehen.
Wenn die Mineralölkonzerne wegen der starken Preisschwankungen auf dem Rotterdamer Spotmarkt weinen, vergießen sie Krokodilstränen: Nur etwa 40 Prozent der Geschäfte laufen über den größten Erdölmarkt Europas; die Mehrzahl der Ölkäufe läuft direkt zwischen Förderern und Abnehmern. Preissteigerungen, die in Rotterdam vornehmlich durch niedrigere Lagerbestände entstehen, werden aber ungeniert auf die Direktgeschäfte übertragen. Es stimmt: Hauptgewinner im Benzinpoker ist Vater Staat, der hier eher Stiefvater ist. Mineralöl-, Öko- und Mehrwertsteuer machen knapp 60 Prozent des Preises an der Säule aus. Es ist also dummes Zeug, wenn es heißt, die Bundesregierung habe nichts mit der Preisentwicklung zu tun. Nun scheint es gerade in der Krise wenig angeraten, die drei Steuern aufs Benzin zu senken.
Doch man kann eine Obergrenze festlegen wie in Luxemburg. Mit der Größe eines Landes hat so ein Schritt rein gar nichts zu tun. Man muss nur wollen. Auch das Modell des australischen Bundesstaates Westaustralien ist interessant: Dort müssen die Konzerne Erhöhungen vierundzwanzig Stunden vorher bekanntgeben. Das österreichische Modell, bei dem nur einmal am Tag erhöht werden darf, ist gescheitert: Der Preis ist stabil, aber höher als zuvor. Zudem: Wenn früher von X stufenweise auf X plus 5 erhöht wurde, läuft’s bei nur einem Sprung pro Tag am Ende auf dasselbe hinaus.
Nicht unberücksichtigt dürfen hausgemachte Preistreiber bleiben: Wer den Iran mit Ölboykott belegt, darf sich nicht über die Reaktion der "Märkte" wundern. Die erhöhten Benzin- und Energiepreise sind übrigens hauptverantwortlich für die Inflation. Schon deshalb müssen die Daumenschrauben angezogen werden. Ein generelles Tempolimit von 130 km/h würde zudem den Spritverbrauch erheblich senken
Wie hohl die Unschuldsbeteuerungen der Mineralölkonzerne sind, wird sich in ein paar Tagen zeigen: Sie werden Ostern nicht als Fest der Auferstehung Christi, sondern als Fest des Auftriebs an der Zapfsäule feiern.
Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 das politische Geschehen für n-tv. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist er Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.
Quelle: ntv.de