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Zwischenruf 300 (!) Bruderzwist und Nachbarstreit

von Manfred Bleskin

Mit der Entscheidung Weißrusslands, die Öllieferungen nach Westeuropa zu unterbrechen, hat der Bruderzwist zwischen Minsk und Moskau eine neue Stufe erreicht. Eine vor allem für Deutschland und Polen, aber für auch die Europäische Union als Ganzes, gefährliche Stufe. Russland erlegt Weißrussland, mit dem es in einer Zollunion verbunden ist, de facto Zölle für Energie auf. Belarus reagiert und schlägt nach allen Seiten. Wenn sich der russische Präsident Wladimir Putin und sein slawischer Bruder Aleksandr Lukaschenko balgen, treffen die Hiebe aber auch deren westliche Nachbarn.

Die Strategie, den slawischen Teil des "nahen Auslands" mittels der Energiefessel wieder stärker an Russland zu binden, war im Falle der Ukraine durchaus erfolgreich. Auch bei Weißrussland dürfte ein Sieg sicher sein. Basiert das bescheidene, aber sichere Lebensniveau dort doch zu einem nicht unbeträchtlichen Teil auf den bislang niedrigen Preisen für Öl und Gas aus Russland. Wenn's da bröckelt, dürfte Lukaschenkos sozialstaatskapitalistischer Kurs Schaden nehmen, seine Popularität sinken.

Das Ziel des Russen Putin, die ethnisch eng verwandten weißrussischen Brüder und Schwestern nicht als zweites Völkerrechtssubjekt, sondern als weiteres Föderationsmitglied in seinen Staatsverband aufzunehmen, so einen völlig neuen Staat zu schaffen und sich auf diese Weise - vielleicht - eine dritte Amtszeit zu erschleichen, ist die eine Sache. Es geht aber nicht an, dass der Kreml seine Machtkämpfe auf dem Rücken des Westens austrägt.

Russland ist unter Putin nicht in hochtechnologischen Siebenmeilenstiefeln auf die weltpolitische Bühne zurückgekehrt, sondern in ölgetränkten Bastschuhen. Der Kreml sollte wissen, dass man Erdöl und -gas nicht essen, sondern nur verkaufen kann. Die Pipeline, durch die das Öl nach Westen strömt, trägt den anspruchsvollen Namen "Drushba", Freundschaft. Und Freundschaft ist keine Einbahnstraße. Es muss ja nicht gleich soweit kommen, man damit droht, der russischen Delegation beim Gipfel der großen Acht im Juni in Heiligendamm den Strom abzudrehen.

Gegenüber Weißrussland wären EU-Sanktionen der falsche Weg. Sie würden ausschließlich das Volk treffen. Aber Lukaschenko sollte unmissverständlich klargemacht werden, dass es europäische Normalität nur geben kann, wenn er den Finger vom Ölhahn nimmt.

Des Weiteren ist es allerhöchste Eisenbahn, der Regierung in Warschau zu signalisieren, wohin der europäische Zug fährt. Die Kaczinski-Zwillinge sollten wissen, dass es Wichtigeres gibt als Jesus Christus zum König Polens zu machen oder sich über - gleichwohl blödsinnige - Kartoffelkarikaturen zu mokieren. Der Familienclan in der Rzeczpospolita behindert durch seine Halsstarrigkeit eine Regelung, welche die energiepolitische und - wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und Russland auf eine stabile und dauerhafte Grundlage stellt. Es braucht mehr als den nun wahrlich nicht sehr staatsmännischen Satz von Bundeswirtschaftsminister Michael Glos, die deutschen Reserven wären hinreichend die Öldurststrecke durchzustehen.

Ein Machtwort von Angela Merkel ist gefragt. Und zwar in ihrer politischen Dreifaltigkeit als deutsche Bundeskanzlerin, G-8-Vorstand und EU-Ratspräsidentin. Damit sollte sie nicht warten, bis sie Ende Januar an die Moskwa reist.

Quelle: ntv.de

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