Zwischenruf Chronik eines angekündigten Krieges
28.08.2013, 14:05 Uhr
Die Vorbereitungen für einen Angriff der britischen und US-amerikanischen Marine im östlichen Mittelmeer laufen auch ohne abschließende Beweise bereits auf Hochtouren.
(Foto: picture alliance / dpa)
Die USA und einige ihrer Alliierten drohen mit einem Angriff gegen das syrische Regime - obwohl es keine Beweise für dessen Einsatz von Giftgas gibt. Die Situation ähnelt der am Vorabend des Irak-Krieges. Ein militärischer Eingriff wäre ein glatter Bruch des Völkerrechts. Dabei ist eine politische Lösung immer noch möglich.
Das Szenario im Syrien-Konflikt gleicht dem vor dem Einmarsch der US-geführten "Koalition der Willigen" in den Irak in fataler Weise. Die Administration sucht nach einem Vorwand, militärisch einzugreifen. Dass man es dabei mit der Wahrheit nicht so genau nimmt, stört offenbar nicht. Der damalige US-Außenminister Colin Powell hatte 2003 in einer Rede vor dem UN-Sicherheitsrat von Beweisen für die Existenz von ABC-Waffen und den dazugehörigen Abschussrampen samt Trägerraketen gesprochen. Zwei Jahre später sagte er, der Auftritt sei ein "Schandfleck" in seiner politischen Laufbahn gewesen.

"Schandfleck" seiner politischen Karriere: Der damalige US-Außenminister Colin Powell präsentiert dem UN-Sicherheitsrat im Februar 2003 vermeintliche Beweise für die Massenvernichtungswaffen Saddam Husseins.
Von Beweisen für den Einsatz von Chemiewaffen durch das Assad-Regime spricht Powells Amtsnachfolger John Kerry nicht. Heute heißt es, alles spräche dafür. Die "rote Linie" sei überschritten. Hoppla! Das war doch angeblich schon vor Wochen der Fall, als französische Journalisten "Beweise" präsentierten, die zunächst von Washington angezweifelt wurden. Einige Zeit darauf hieß es, die "Beweise" hätten sich als richtig herausgestellt. Ein Drohszenario, wie es jetzt aufgebaut wird, folgte aber nicht. Wieso, wenn alles seine Richtigkeit hatte? Präsident Barack Obama zögerte angesichts der Erfahrungen aus Afghanistan und dem Irak. Nun hat der Druck der Falken aus dem republikanischen und auch dem eigenen, demokratischen, Lager ein solches Ausmaß erreicht, dass ein weiteres Zögern als Schwäche ausgelegt werden könnte.
Opposition könnte westliches Eingreifen provozieren wollen
Die Vorbereitungen für einen Angriff aus der Luft sind getroffen. Zwei Flugzeugträger der US Navy kreuzen an der Levante. Auf den exterritorialen britischen Stützpunkten Akrotiri und Dekelia auf Zypern sind zusätzliche Kampfflugzeuge eingetroffen. Französische Bomber stehen auf der saudischen Basis Tabuk nahe der Grenze zu Syriens Nachbar Jordanien bereit. Ein russisches Flugzeug ist in Latakia in der Nähe der russischen Marinebasis Tartus gelandet, um 180 ausreisewillige Landsleute nach Hause zu bringen. Derweil hat auch Australien signalisiert, dass es einen Angriff – mit oder ohne Mandat des UN-Sicherheitsrats – unterstützt.
Warum aber sollen militärische Objekte von Armee und Republikanischer Garde bombardiert werden, wenn nicht feststeht, dass diese für den Einsatz von Giftgas verantwortlich sind? Ebenso gut ist es möglich, dass es eine oder mehrere der inzwischen auf 1.200 (!) angewachsenen Verbände der Opposition waren, die einen ausländischen Angriff gegen Regierungskräfte provozieren wollten. Warum hätte Baschar al-Assad Giftgas einsetzen sollen, wenn er wusste, dass er damit die "rote Linie" überschreitet? Für die Annahme, dass das Regime die Morde an Kindern, Frauen und Männern verantwortlich ist, spricht, dass der den UN-Inspekteuren er nach tagelangem Hin und Her Zugang zu den Orten des Grauens gewährt wurde. Technisch ist es möglich, die Spuren von Giftgaseinsatz zu verwischen. Die USA verfügen laut israelischen Geheimdienstquellen über solche Instrumente. Die syrische Diktatur auch?
Bombardement wäre Bruch des Völkerrechts
Der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Philipp Mißfelder hat recht, wenn er sagt, dass Völkerrecht stoße jetzt an seine Grenzen. Nur: Solange dies vorsieht, dass Waffengänge nur mit einem UN-Mandat möglich sind, bleibt ein mögliches Bombardement Syriens ein eklatanter Bruch des Völkerrechts. Wer eigentlich garantiert, dass bei einem Angriff keine Zivilpersonen getötet werden? Von den dramatischen Konsequenzen in der Region einmal ganz abgesehen.
Israels Ex-Außenminister Avigdor Lieberman erklärt, sein Land wäre nicht an einem militärischen Konflikt mit Syrien interessiert. Assad soll gesagt haben, dass er für den Fall eines westlichen Angriffs auf Syrien Ziele in Israel beschießen lassen würde. Allein dieses Horrorszenario zeigt, dass es in Nah- und Mittelost im Falle einer Westattacke einen Zauberlehrlingseffekt geben würde. Deutschland tut gut daran, sich da herauszuhalten. Auch wenn die USA – aus offensichtlichen Gründen - ein Krisentreffen mit Russland abgelehnt haben: Eine politische Lösung ist immer noch möglich. Fünf Minuten vor zwölf heißt, dass es trotz allem immer noch nicht High Noon ist.
Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 das politische Geschehen für n-tv. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Manfred Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.
Quelle: ntv.de