Zwischenruf Das Eis ist brüchig
25.11.2008, 15:08 UhrRegieren oder reagieren? Das ist hier die Frage. Nachdem Angela Merkel erkannt hatte, dass die Finanzkrise entgegen früheren Behauptungen nicht an Deutschland vorübergeht, eilt sie von Termin zu Termin, mal im In-, dann im Ausland. Sie scheint die Dinge im Griff zu haben. Doch greifen die Dinge immer mehr nach ihr.
Lauter werden die Rufe, nach dem Rettungspaket für die Banken und den stückwerkartigen Maßnahmen zur Ankurbelung der Autokonjunktur, ein zweites, besser: ein richtiges Konjunkturpaket aufzulegen. Die Forderungen kommen nicht nur aus der Opposition, sondern zunehmend auch aus den eigenen Reihen. Die CSU will sich nicht mit der vagen Ankündigung zufrieden geben, dass Angela Merkel Anfang nächsten Jahres vielleicht noch einmal über das Thema sprechen will und verlangt einen konkreten Zeitplan. Und Steuersenkungen. Der CDU-Mittelstand stößt in das gleiche Horn. Merkel ist strikt dagegen. Der Rückenwind von Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy in dieser Frage wird ihr da wenig helfen. Zumal laut Europäischer Kommission Steuererleichterung im Allgemeinen und Mehrwertsteuersenkungen im Besonderen "einen starken fiskalischen Impuls schaffen (können), der den Konsum stützt". Nach Jahrzehnten der Schmähung hält Keynes wieder Einzug ins neoliberale EU-Brüssel. Die Londoner Presse ist sich sicher, dass Berlin nach der Mehrwertsteuersenkung in Großbritannien - in welcher, möglicherweise abgestufter, Form auch immer – früher oder später nachzieht.
Das Klima ist rau
Das wird die Stunde des Triumphs von Horst Seehofers CSU, zumal erwartet wird, dass das Bundesverfassungsgericht um die Jahreswende seinen Spruch zur Pendlerpauschale bekannt gibt. Die Wiedereinführung des Kilometergeldes war eine der zentralen Forderungen der bayerischen Schwesterpartei im Landtagswahlkampf. Aber der Ton, den die CSU gegenüber der CDU anschlägt, hat nichts mehr mit Schwesterlichkeit zu tun. Wenn’s nur Ex-Parteichef Erwin Huber wäre, der dem Seniorpartner der Koalitionsgemeinschaft mangelnde Solidarität und fehlende Kompetenz in der Steuerpolitik vorwirft. Hört man Nachfolger Seehofer und Bundeswirtschaftsminister Michael Glos über Kanzlerin und Christdemokraten sprechen, vermeint man Stimmen der Opposition zu hören, so rau ist das Klima.
Auch die Ministerpräsidenten der Union haben in der Krise wieder eine Sternstunde: Von Hannover über Stuttgart bis München verlangen die Regierungschefs die Klimaziele aufzuweichen, um der Autoindustrie einen Gefallen zu tun. Dazwischen wird immer wieder der Ruf nach Abschaffung des Solidaritätszuschlags laut. Das macht dann die Unionsministerpräsidenten in Mitteldeutschland hellhörig.
Treiben oder getrieben werden? Darauf muss die Regierungschefin rasch eine Antwort finden. Rascher als bei der Erkenntnis über die Finanzkrise. Denn das Eis, auf dem sie steht, ist brüchig, Auch wenn der Parteitag am Wochenende einen gegenteiligen Eindruck erzeugen wird.
Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.
Quelle: ntv.de