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Betreuungsgeld in fünf Akten Das Spiel ist aus - hoffentlich

Akt 2 in der Betreuungsgeld-Tragödie: Merkel, Seehofer und Rösler am 6. November 2011 im Bundeskanzleramt.

Akt 2 in der Betreuungsgeld-Tragödie: Merkel, Seehofer und Rösler am 6. November 2011 im Bundeskanzleramt.

(Foto: picture alliance / dpa)

War es das endlich? Nach einer Tragödie in fünf Akten ist zu hoffen, dass Schwarz-Gelb die Operation Betreuungsgeld abbläst. Denn die Idee dieser Prämie passt nicht in die Zeit. Vor allem aber ist das Konzept einfach schlecht: Belohnt wird nicht die Betreuung des eigenen Kindes, sondern der Verzicht auf einen Kita-Platz.

Die schlechte Nachricht zuerst: Die Koalition ist nicht in Gefahr, versichern Politiker von FDP und CSU. Das Bündnis will weiterwursteln, sich von Streit zu Streit hangeln und dabei immer wieder verkünden, die "Performance" sei "gelegentlich verbesserungsfähig". Eine grandiose Untertreibung. Das Betreuungsgeld zeigt, wie die Methode Schwarz-Gelb funktioniert.

Beratungen gehen weiter

Die Koalition berät an diesem Dienstag über einen Ausweg aus ihrer Krise um das Betreuungsgeld. Zunächst treffen sich die Fraktionsspitzen zum Koalitionsfrühstück, am Nachmittag kommen um 15.00 Uhr die Fraktionen von Union und FDP zu ihren jeweiligen Sitzungen zusammen. In Koalitionskreisen wird nicht mit einer schnellen Einigung gerechnet. Bereits am Montag hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel mehrfach telefonisch mit FDP-Chef Philipp Rösler und dem CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer beraten.

1. Akt: Die Koalitionsverhandlungen. In Rekordzeit einigen sich Union und FDP 2009 auf einen Koalitionsvertrag. Dabei geht Schnelligkeit vor Gründlichkeit: Später entdecken die Regierungsparteien Passagen in ihrem Vertrag, die ihnen eigentlich doch nicht so gut gefallen. Die CSU zum Beispiel bringt diesen Satz unter: "Um Wahlfreiheit zu anderen öffentlichen Angeboten und Leistungen zu ermöglichen, soll ab dem Jahr 2013 ein Betreuungsgeld in Höhe von 150,- Euro, gegebenenfalls als Gutschein, für Kinder unter drei Jahren als Bundesleistung eingeführt werden." - Die Erwähnung des Gutscheinmodells ist ein Zugeständnis, das die CSU nicht ernst meint.

2. Akt: Die Koalition findet einen brisanten Kompromiss. Am 6. November 2011 einigen sich die Parteichefs Angela Merkel, Horst Seehofer und Philipp Rösler bei einer siebenstündigen Sitzung auf diverse Projekte. Für jeden ist etwas dabei, für die FDP beispielsweise ein paar Steuererleichterungen. Die CSU setzt ihr Betreuungsgeld durch - obwohl nicht einmal CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeld vom Sinn der Idee überzeugt ist. Eine Woche später wird auf dem CDU-Parteitag in Leipzig vor allem unter den CDU-Frauen heftig über das Betreuungsgeld gemurrt. Noch bricht der Streit nicht offen aus.

3. Akt: Der Konflikt eskaliert. Ende März 2012 schreiben 23 CDU-Bundestagsabgeordnete einen Brief an die Fraktionsspitze und kündigen an, dass sie das Betreuungsgeld in der aktuell diskutierten Form nicht mittragen werden. Die CSU betont, dass sie keinerlei Kompromisse eingehen wird. Nun wachen auch die Kritiker aus der FDP auf. Seehofer droht mit dem Ende der Koalition. Die Blockade ist perfekt.

4. Akt: Eine Lösung scheint gefunden. Bei einer Reise nach Jerusalem zeigt Seehofer sich am 13. September nun doch bereit, ein paar Veränderungen am Betreuungsgeld vorzunehmen. Am 21. September einigen sich CDU und CSU auf einen Kompromiss: Das Betreuungsgeld soll nur ausgezahlt werden, wenn die Eltern ihre Kinder zu den regelmäßigen Vorsorgeuntersuchungen bringen. Außerdem kann das Betreuungsgeld in eine private Altersvorsorge eingezahlt werden.

5. Akt: Die Katastrophe. Bei ihrem Kompromiss hatten CDU und CSU dummerweise die FDP vergessen. Die sagt jetzt Nein. Warum? Das bleibt unklar. Vielleicht wollen die Liberalen es der Union heimzahlen, dass zwei CDU-Ministerpräsidenten im Bundesrat für die Frauenquote gestimmt haben. Vielleicht sieht die FDP eine Chance, das von ihr nie geliebte Betreuungsgeld zu verhindern. Vielleicht ist das Nein ein Querschuss gegen Rösler, der dem Betreuungsgeld im November 2011 zugestimmt hatte. Wie dem auch sei: Die FDP sagt Nein.

Das Betreuungsgeld: Wie Freibier beim Oktoberfest.

Das Betreuungsgeld: Wie Freibier beim Oktoberfest.

(Foto: picture alliance / dpa)

Damit sind wir bei der guten Nachricht: Wenn die FDP nicht umfällt, wird das Betreuungsgeld nicht kommen. Eine gute Nachricht ist dies, weil das Betreuungsgeld nicht in die Zeit passt.

Grund 1: Es geht nicht. Laut Finanzminister Wolfgang Schäuble befindet sich die Koalition auf einem "Kurs der wachstumsfreundlichen Konsolidierung". Geschenke an CSU-Wähler, die bereits 2009 mit Blick auf die nächste Bundestagswahl sowie die ebenfalls Ende 2013 stattfindende Landtagswahl in Bayern geplant worden waren, passen so gut in diese Zeit wie Freibier aufs Oktoberfest: Schön wär's schon, aber gehen tut's nicht.

Grund 2: Die "Wahlfreiheit" ist eine Fiktion. Ab August 2013 soll es in Deutschland einen Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz geben. Laut Städte- und Gemeindebund fehlen derzeit noch 130.000 Plätze für die unter Dreijährigen, wobei die Zahl nur eine Schätzung ist. Niemand weiß, wie viele Eltern ihren Rechtsanspruch einfordern werden. Klar ist nur: Solange der Rechtsanspruch nicht bundesweit praktisch umgesetzt ist, gibt es keine echte Wahlfreiheit.

Grund 3: Die Kitas brauchen Geld. Laut "Kindergarten-Monitor" von 2010 zahlen Familien mit zwei Kindern und einem mittleren Einkommen 935 Euro an Kita-Gebühren pro Jahr. Das ist ein bundesweiter Durchschnittswert, die tatsächliche Belastung reicht für Familien mit zwei Kindern und mittlerem Einkommen von null bis 2672 Euro. Könnten nicht diese Familien entlastet werden? Und wenn dafür kein Geld da ist, wäre es nicht sinnvoll, die Ausstattung der Kindergärten zu verbessern, die Zahl der Erzieherinnen zu erhöhen, kurz: die Qualität der Kinderbetreuung zu verbessern?

Grund 4: Das Konzept ist schlecht. Natürlich ist es schön, wenn Eltern ihre Kinder nicht so früh wie möglich in eine Krippe schicken müssen. Allerdings ist das Betreuungsgeld-Konzept überhaupt nicht darauf angelegt, es Familien zu ermöglichen, die Kinder in den ersten Jahren zuhause zu betreuen. Dafür sind 150 Euro viel zu wenig. Vor allem aber soll nun zwar der Besuch von Vorsorgeuntersuchungen zur Bedingung gemacht werden. Überraschenderweise war aber nie im Gespräch, die Betreuung selbst zur Bedingung zu machen: Alle Eltern, deren Kinder nicht in eine staatliche oder staatlich geförderte Einrichtung gehen, sollen einen Anspruch auf das Betreuungsgeld haben, völlig unabhängig davon, wer sich um das Kind kümmert. Belohnt wird also nicht die Betreuung des eigenen Kindes, sondern der Verzicht auf einen Kita-Platz.

Grund 5: Mehr Zeit für Kinder. Aus Sicht der CSU ist das Betreuungsgeld eine Würdigung der Erziehungsleistung von Eltern. Ein starkes Argument. In einer idealen Welt hätten Eltern immer die notwendige Zeit, mit ihren Kindern zu spielen, ihnen vorzulesen, sie zum Fußballtraining zu bringen und bei den Hausaufgaben zu helfen - denn Kinder kosten auch dann noch Zeit, wenn sie nicht mehr im Kita-Alter sind. Aber: Wann hat sich zuletzt ein CSU-Politiker dafür eingesetzt, dass in Deutschland eine Kultur der Teilzeitarbeit entsteht, die Eltern genau dies ermöglichen würde - mehr Zeit mit den Kindern zu verbringen?

Die beste Lösung für alle Beteiligten wäre die bewährte Methode Schwarz-Gelb: Die Debatte verläuft im Sand, am Ende passiert nichts. Gewiss, ein Scheitern des Betreuungsgeldes wäre ein weiterer Beleg für die schlechte Performance der Koalition. Und doch ist Scheitern immer eine Frage der Perspektive. In diesem Fall ist zu hoffen, dass die Tragödie ein Happy End bekommt.

Quelle: ntv.de

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