Zugehörigkeit wird nicht verliehen Der Islam, die Muslime und Deutschland
19.04.2012, 16:27 Uhr
In einer offenen und pluralistischen Gesellschaft kann jeder dazugehören.
(Foto: dpa)
Ausgerechnet vor der Islamkonferenz fühlt sich Unionsfraktionschef Kauder aufgefordert, dem Islam zu verweigern, dass er zu Deutschland gehört. Das ist nicht nur recht instinktlos, sondern auch realitätsfremd und vor allem überflüssig.
Zum : "Aber der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland." Zuvor hatte er auf die christlich-jüdischen Wurzeln verwiesen und Goethe zitiert: "Orient und Okzident sind nicht mehr zu trennen."
Wulffs Satz gilt inzwischen ein wenig als das Vermächtnis seiner kurzen Amtszeit und bei aller Kritik an ihm wäre das wohl nicht das schlechteste. Der Widerspruch von Unionsfraktionschef Volker Kauder anlässlich der Islamkonferenz könnte also durchaus als ein letztes Nachtreten gegen Wulff verstanden werden.
Allerdings offenbart Kauder mit seiner Äußerung auch ein gerüttelt Maß an Hilflosigkeit angesichts einer Entwicklung, die inzwischen ein Jahrhunderte währender Prozess und auch längst nicht abgeschlossen ist. "Der Islam ist nicht Teil unserer Tradition und Identität in Deutschland und gehört somit nicht zu Deutschland", sagt Kauder.
Wer gehört zu wem?
Zu etwas gehören, das heißt im besten deutschen Wortsinn, Teil von etwas sein. Ist die Frage also möglicherweise leichter zu beantworten, wenn man fragt: Ist der Islam inzwischen Teil von Deutschland? Auf jeden Fall ist der Islam Teil der Lebenswirklichkeit von vielen Menschen in Deutschland. In Deutschland leben rund vier Millionen Muslime. Viele von ihnen sind Nachfahren von Gastarbeitern, die in den 60er Jahren aus islamisch geprägten Ländern nach Deutschland kamen.
Aber die ersten islamischen Gemeinden etablierten sich schon im 18. Jahrhundert in Deutschland. In seine Bemühungen um Toleranz und Religionsfreiheit schloss der gerade gefeierte Friedrich der Große nicht nur ausdrücklich Juden, sondern auch Muslime mit ein. Auf die Frage, ob ein Katholik Bürger einer preußischen Stadt werden dürfe, schrieb er 1740 in einem Brief: "Alle Religionen sind gleich und gut, wenn nur die Leute, die sie ausüben, ehrliche Leute sind; und wenn Türken und Heiden kämen und wollten das Land bevölkern, so wollen wir ihnen Moscheen und Kirchen bauen." Ist es genug Tradition, seine Zugehörigkeit auf den Alten Fritz zu gründen?
Kauder sagt: "Muslime gehören aber sehr wohl zu Deutschland. Sie genießen selbstverständlich als Staatsbürger die vollen Rechte." Fast möchte man ob der Selbstverständlichkeit und Banalität dieser Sätze rufen: Natürlich, wie denn sonst? Eine offene und aufgeklärte Gesellschaft wie es die deutsche ist, gewährt Religionsfreiheit. Darüber hinaus ist sie aber in der Lage, Realitäten anzunehmen.
Zugehörigkeit wächst
Auch wenn die christlichen Kirchen immer weniger Mitglieder haben, gehört das Christentum zu Deutschland. Wir sehen das beispielsweise an Kirchenbauten und spüren das nicht zuletzt an unserem christlich geprägten Wertekanon. Weil es die Trennung von Kirche und Staat gibt, gehört das Christentum aber nicht im Sinne einer Staatsreligion zu Deutschland, sondern im Sinne eines kulturellen Erbes. Gleichzeitig werden Einwanderer und ihre Kinder in Deutschland heimisch. Sie bringen Erinnerungen, Kochrezepte und vielleicht ihre Religion mit. Sie beten auf ihre Weise, wo die Gemeinden groß genug sind, werden Moscheen gebaut. Darüber wachsen Generationen heran, die es nicht anders kennen. Für sie gehören muslimische Gläubige zu Deutschland, ebenso wie jüdische oder christliche. Das ist kein Widerspruch, sondern das Leben.
Diese Entwicklung wird durch eine wortklauberische Debatte kaum qualifiziert begleitet. Der Islam gehört nicht, der Muslim schon zu Deutschland? Seit der Weimarer Republik ist die Religionsausübung im Prinzip Privatsache. Der Staat verhält sich weltanschaulich neutral, historisch ist aber eine Kooperation gewachsen. Beim Bundesinnenministerium ist von einer religionsfreundlichen Neutralität des Staates die Rede, von einer "die Glaubensfreiheit für alle Bekenntnisse gleichermaßen fördernden Haltung". Nur beim so unvertrauten Islam würden wir gern mal eine Ausnahme machen?
Die Zugehörigkeit zu Deutschland kann niemand gewähren. Man kann vielleicht dazu einladen. Und man kann sie fühlen und ausfüllen oder nicht.
Quelle: ntv.de