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Zwischenruf Der Mensch lebt nicht von Brot allein

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(Foto: AP)

Trotz des leichten Anstiegs der Erwerbslosigkeit ist die Quote von 7,4 Prozent statistisch ein Erfolg. Ethisch gesehen ist sie eine Katastrophe. Und das viel beschworene Jobwunder der letzten Jahre zeigt vor allem eins: Statistiken ist nur bedingt zu trauen.

Die sind zufriedenstellend im Februar, trotz der leichten Erhöhung im Vergleich zum Vormonat. Liest man dieser Stunden und Tage allenthalben. Schon diese Worte bergen für unzählige Menschen einen unglaublichen Zynismus in sich. Es stimmt: Nicht jede/r, die/der keiner regelmäßigen Beschäftigung nachgeht, nagt am Hungertuch.  Aber "der Mensch lebt nicht vom Brot allein", wie es schon bei Matthäus 4,4 in der Bibel steht: Gesellschaftliche und kulturelle Ausgrenzung sind oft die Folge von Arbeitslosigkeit, die Krankheitsanfälligkeit wächst, Grundsätze lösen sich in nichts auf, Gleichgültigkeit und Apathie werden auf die nächste Generation übertragen, Kinderarmut wird zu einer lebenslang prägenden Erfahrung. Von der vielbeschworenen "Politikverdrossenheit" gar nicht zu reden. Die Erwerbslosenquote von 7,4 Prozent mag als statistische Größe nett ausschauen. Ethisch gesehen ist sie eine Katastrophe.

Ähnliches gilt für die Empfänger von Arbeitslosengeld II, gemeinhin Hartz IV genannt. Schon das Wort ist ein Kainsmal. Doch im Unterschied zur biblischen Gestalt ist die/der Betreffende zumeist ja nicht durch Selbstverschulden in diese Situation geraten. Knapp 30 Prozent der Hartz-IV-Empfänger sind sogenannte Aufstocker, deren Minijob für ein würdiges Leben nicht hinreicht; zehn Prozent absolvieren Maßnahmen der Bundesagentur für Arbeit, vielfach in sogenannten Ein-Euro-Jobs.

Es soll hier nicht das Winston Churchill zugeschriebene Zitat über den Wahrheitsgehalt von bemüht werden. Doch das Beschäftigungswachstum ist zu weit mehr als einem Drittel auf die Zunahme von Leiharbeit zurückzuführen. Leiharbeiter werden mehrheitlich niedrigentlohnt. Durchschnittlich nur rund sieben Prozent der zuvor arbeitslosen Leiharbeiter finden wieder eine feste Stelle. Nur etwa ein Drittel jener, die jährlich aus der Arbeitslosenstatistik herausfallen, haben eine feste Anstellung gefunden. Die Mehrheit hat die Altersgrenze überschritten, ist physisch oder psychisch nicht  arbeitsfähig, geht in Weiterbildungsmaßnahmen. Dann gibt es die Langzeitarbeitslosen, welche die Hoffnung je wieder einen Job zu bekommen, aufgegeben haben. Die werden in der Statistik überhaupt nicht mehr berücksichtigt.

Und dann ist da noch die klaffende Schere zwischen Ost und West, die – wie aus der verständlicherweise geheimgehaltenen Studie über die neuen Länder geschlussfolgert werden muss – wohl nie wieder zugeklappt wird. Der Graben war durchschnittlich nur 7,4  Zentimeter tief. Und die Kuh ist trotzdem ersoffen.

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Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 das politische Geschehen für n-tv. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist er Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.

Quelle: ntv.de

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