SPD durchlöchert Agenda 2010 Der Prüfstein heißt Steinmeier
15.03.2010, 15:58 Uhr
Gabriel und Nahles müssen sich wieder dem klassischen SPD-Klientel zuwenden.
(Foto: REUTERS)
Jetzt ist es also soweit: Die SPD will umkehren. Zumindest ein bisschen, irgendwie. Nach der Demütigung bei der Bundestagswahl und dauerhaft schlechten Umfragewerten wollen die Sozialdemokraten unter Sigmar Gabriel die schrödersche Agenda 2010 durchlöchern. Dass die Reform handwerklich schlecht gemacht war, hat kürzlich das Bundesverfassungsgericht nochmals deutlich gemacht, als es die Berechnung der Hartz-IV-Sätze in Grund und Boden urteilte. Dass seit der Reform die Gesellschaftsgruppen in Deutschland "Abgehängte", "Reiche" und "Menschen mit Angst vor Hartz IV" heißen, belegen diverse Studien und Zahlen. Dass Schröders mächtige Tritte gegen die Grundpfeiler des Sozialstaates das Urvertrauen des kleinen Mannes in seine SPD zerstört hat, wollte die Traditionspartei lange Zeit nicht wahrhaben.
Höhere Leistungen, längerer Bezug des Arbeitslosengeldes I, Verzicht auf jegliche Vermögensprüfung bei Hartz-IV-Empfängern, ein weicherer finanzieller Übergang zwischen ALG I und Hartz IV – das sind, kurz gesagt, die Patronen, die die SPD auf den ganzen Stolz ihres ehemaligen Basta-Kanzlers abfeuern will. Zudem wollen die Genossen 200.000 zusätzliche Stellen für Langzeitarbeitslose mit "Vermittlungshemmnissen" schaffen.
Doch was ist das nun alles? Bloß ein Wahlkampfmanöver vor der bedeutenden NRW-Wahl, die die Machtverhältnisse im Bundesrat ändern kann? Oder doch die überzeugte Abkehr von einer Reform, die im Herzen der SPD nie angekommen ist und die der Linkspartei erst richtig auf die Welt geholfen hat? Die von der Ein-Mann-Partei FDP mit verbaler Gewalt angestoßene Diskussion über Hartz IV passt den Sozialdemokraten jedenfalls gut in den Kram – endlich ist das Thema aufgewühlt, das die SPD beackern muss, um Erfolg zu haben. Endlich gibt es wieder zwei Seiten in Deutschland, von denen man sich eine aussuchen kann. Die Mitte? Plötzlich wieder sehr viel kleiner. Dieser "Klassenkampf" wird der SPD in NRW helfen, Boden gut zu machen - und dann haben sich die Genossen aus ihrer Sicht zur richtigen Zeit geäußert.
Diagnose: Rückgratbruch
Bleibt die Frage der inneren Abkehr. Was soll, was kann man der SPD noch glauben? "Nichts", dürften die rund zwei Millionen SPD-Anhänger bei der letzten Bundestagswahl gedacht haben, die ihrer Partei demonstrativ das Kreuzchen verweigerten. Und an diesem Nichts müssen Gabriel und Co. herumdoktern. Pflaster helfen nicht, wenn das Rückgrat gebrochen ist. Ob die SPD-Pläne aber Pflaster oder echte Therapie sind, wird sich zeigen. Zumindest aber haben die Genossen erkannt, wo die Krankheit sitzt. Keine Frage: Die SPD muss die Hartz-IV-Wunde schließen, sonst bleibt sie fortan ein zitterndes Kellerkind.

Neue Brille, aber alter Kurs? Frank-Walter Steinmeier, Hartz-IV-Erfinder.
(Foto: dpa)
Natürlich kann die SPD zurzeit nur Pläne machen – denn viel zu sagen hat sie nicht. Regiert wird das Land von Schwarz-Gelb. Daher könnten ja zur Abwechslung auch mal Taten der eigentliche Maßstab sein. Inzwischen hat sich herumgesprochen, dass Frank-Walter Steinmeier, grandios gescheiterter Kanzlerkandidat und jetziger Fraktionsvorsitzender im Bundestag, der Konstrukteur, der Architekt von Hartz IV war. Schröder, der Medienmann, hat aus Steinmeiers Ideen dann seine Marke Agenda 2010 gestrickt. Ob die SPD es ernst meint mit ihrer Reform der Reform, lässt sich daher wohl am besten am Karriereweg ihres Fraktionsvorsitzenden ablesen.
Quelle: ntv.de