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Zwischenruf Der nibelunge nt

Was SPD-Urgestein Klaus von Dohnanyi zunächst als Provinzposse abtun wollte, hat sich zu einem wahrhaftigen Flügelkampf entwickelt. Der Streit um den Parteiausschluss von Wolfgang Clement ist für die SPD zu einer Grundsatzfrage geworden.

Die Äußerungen des früheren Bundeswirtschaftsministers und stellvertretenden Parteivorsitzenden vor der Hessenwahl waren zweifellos Partei schädigend. Wie auch das Votum von Hessens SPD-Abweichler Jürgen Walter und seinen Mitstreiterinnen gegen die Wahl von Andrea Ypsilanti zur Ministerpräsidentin in Wiesbaden. Gleiches gilt für den Saarländer Charly Lehnert, der als eingeschriebener Sozialdemokrat den Landtagswahlkampf für die Linke und Oskar Lafontaine organisieren will. Die Forderungen an die Delinquenten reichen von Parteiausschluss über freiwilligen Austritt bis zur Rüge. Wenngleich die drei Fälle bundespolitisch ein unterschiedliches Gewicht haben, so sind sie durchaus symptomatisch.

Die SPD steht wieder einmal mitten in einer Identitätskrise. Spätestens seit dem Fall des Bismarckschen Sozialistengesetzes streiten Linke und Rechte und Mittige miteinander, wenn es in komplizierten gesellschaftlichen Situationen um den Kurs der Partei geht. Im Kern ging es stets um die Frage der Stellung zu dem Staat, den man eigentlich überwinden, zum Kapital, das man eigentlich in die Schranken weisen wollte. Diese Auseinandersetzungen bekamen der SPD mal mehr, mal weniger, aber immer dann gut, wenn das ökonomische Umfeld günstig war und es sozial etwas zu verteilen gab.

In Zeiten von Wirtschaftskrise und Hartz IV müsste sich die SPD eigentlich entscheiden, ob sie mit der Linken und den Grünen einen arbeitnehmerorientierten oder mit Union und Liberalen einen wirtschaftsfreundlichen Kurs einschlägt. Dass die SPD weder klar für die einen noch für die anderen optiert, nehmen ihr die Wähler übel. Die Umfragewerte sind unverändert mies.

Die Spruchkammer des nordrhein-westfälischen Landesverbands der Sozialdemokraten hatte im Juli den Ausschluss von Clement empfohlen. Im Prinzip müsste die siebenköpfige Schiedskommission der Bundes-SPD eine endgültige Entscheidung treffen. Doch wie heißt es schon bei Tucholsky: "Wat brauchste Prinzipien, wenn du eenen Apparat hast!" Denn neben Vertretern von Clements Bochumer SPD-Heimatbezirk sitzen auch die Schwergewichte Franz Müntefering und Hubertus Heil mit am Tisch. Bundesparteichef und Generalssekretär hatten sich schon vor Monaten gegen eines Ausschluss von Clement ausgesprochen.

Mit der Entscheidung, Wolfgang Clement in der Partei zu belassen und lediglich zu rügen, steht die SPD in Nibelungentreue zu ihrem Prinzip, sich nicht eindeutig festzulegen. Man kann aber nicht das eine und das andere zugleich sein. Damit fällt man immer wieder auf die Nase und in der Wählergunst nach unten. Daz ist der nibelunge nt.

Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.

Quelle: ntv.de

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