Mehr Atom, weniger Steuern Deutschland wird anders
27.09.2009, 19:23 UhrKanzlerin Merkel und FDP-Chef Westerwelle sind am Ziel: Eine geschwächte Union wird zusammen mit einer starken FDP Deutschland regieren. Schwarz-Gelb wird das Land verändern.

(Foto: REUTERS)
Der schwarz-gelbe Traum ist wahr geworden: CDU, CSU und FDP kommen nach elf Jahren wieder ans Ruder der Macht und werden für die nächsten vier Jahre Deutschland regieren. Das Ergebnis ist ein persönlicher Erfolg für Angela Merkel und Guido Westerwelle und ihren – umstrittenen – Kurs im Wahlkampf. Ihren Kritikern haben sie es gezeigt, ihre schwarz-gelbe Rechnung ist trotz aller Unkenrufe aufgegangen. Doch trotz aller verständlichen Triumphgefühle gilt für die beiden künftigen Koalitionäre: Nun müssen sie sich beweisen und die von ihnen hoch geschraubten Ansprüche an das schwarz-gelbe Projekt auch erfüllen.
Vor allem für Westerwelle ist das beste FDP-Ergebnis in der Geschichte der Liberalen eine fulminante Bestätigung – sowohl persönlich als auch strategisch. Sein viel gescholtener Kurs der Festlegung auf ein Bündnis mit der Union und die Ablehnung der Ampel ist nun endlich aufgegangen. Damit hat er es allen Kritikern innerhalb und außerhalb seiner Partei gezeigt. Zudem wird die FDP Dank ihres guten Abschneidens und des miesen Unionsergebnisses als starker Juniorpartner in die Koalition ein ziehen. Das wird sich in der Zahl und der Qualität der Ministerien sowie im Koalitionsvertrag für die FDP auszahlen.
Mieses Ergebnis für Union
Angela Merkel hat für die Union das schlechteste Ergebnis seit 1949 eingefahren – eigentlich ein Desaster. Allerdings kann sie durch das verheerende Ergebnis der SPD weiterhin Regierungschefin bleiben und überspielt damit fürs Erste die Krise der Union. Um ihre Posten als Kanzlerin und Parteivorsitzende muss Merkel nicht fürchten, die Union neigt nicht zum öffentlichen Streit und ein Königsmörder ist derzeit (noch) nicht auszumachen. Die Regierungschefs der Länder sind gezähmt, und in der Riege der Bundespartei hat Merkel ihre Getreuen etabliert.
Die viel größere Herausforderung wartet für sie im Amt der Bundeskanzlerin. Mit dem Ende der Großen Koalition muss Merkel nun zeigen, ob sie die sozialdemokratisch angehauchte Regierungschefin der schwarz-roten Regierungsjahre bleibt, von der FDP in eine wirtschaftsfreundlichere Richtung gedrückt wird oder nun endlich ihren ganz eigenen Kurs einschlägt.
Schwarz-gelbe Veränderungen
Dass sich mit der schwarz-gelben Regierung einiges ändern wird, ist jedenfalls klar: Die Wahlprogramme von Union und FDP verheißen mehr Wettbewerb für die Wirtschaftspolitik, im Gesundheitswesen und dem Bildungsbereich. Der Atomausstieg wird – wenn überhaupt – nicht so schnell kommen wie versprochen, zudem werden mehr neue Kohlekraftwerke gebaut. Überhaupt wird mit der FDP in der Regierung die Klimapolitik in ihrer bisherigen Form am Ende sein, die Partei wendet sich gegen eine staatliche Umsteuerung hin zu erneuerbaren Energien und setzt auf die Kraft der Märkte. Die Liberalen werden diese Kraft auch in der Wirtschaftspolitik stärker wirken lassen wollen, auf Kosten von Kündigungsschutz, Mindestlöhnen und dem Einfluss der Gewerkschaften.
Die Union wird unter Merkel versuchen, dem neoliberalen Druck der FDP entgegenzusteuern und sich als präsidiale Kanzlerin der Mitte zu halten. Ob sie es schafft, diesen Kurs beizubehalten, wird die Nagelprobe der CDU-Chefin sein.
Klar ist nun auch: Steuersenkungen werden kommen. CSU und FDP werden die CDU unter Druck setzen, diese möglichst bald und umfassend zu ermöglichen, um den Versprechen im Wahlkampf gerecht zu werden. Angesichts der miserablen Haushaltslage bleibt allerdings offen, wie das finanziert werden soll. Überhaupt wird die große Frage sein, wo Schwarz-Gelb kürzen wird beziehungsweise wie die nächste Bundesregierung neue Geldquellen erschließen will.
SPD ohne Müntefering
Für die SPD und ihr Führungspersonal ist das schlechteste Ergebnis seit Bestehen der Bundesrepublik ein verheerendes Desaster. Die Aufholjagd der letzten Wahlkampfwochen hat sich als Strohfeuer erwiesen – Frank-Walter Steinmeier hat als Kanzlerkandidat versagt. Dass er in der Opposition als Fraktionschef weitermachen will, ist eine Kampfansage an Merkel, ein Zeichen an seine Partei und ein Zeugnis seiner Wandlung im Wahlkampf. Er hat Spaß am politischen Streit gefunden. Für den Kurs seiner Partei bedeutet ein Fraktionschef Steinmeier, dass er trotz des Linkskurses seine Partei in der Mitte halten will. Wie radikal er als Oppositionsführer auftreten wird, muss sich nun zeigen – es wird auch vom Kurs der schwarz-gelben Bundesregierung abhängen.
SPD-Chef Franz Müntefering wird dagegen Geschichte sein, auch wenn er nicht sofort zurückgetreten ist. Seine Nachfolgerin oder sein Nachfolger entscheiden über den künftigen Kurs der Partei. Ob Steinmeier auch dieses Amt anstrebt, oder die künftige Vorsitzende Andrea Nahles heißt, hängt von der Durchsetzungskraft des gescheiterten Kanzlerkandidaten ab.
In der Opposition haben die Sozialdemokraten die Chance, sich personell und strategisch zu erneuern und neue Koalitionsmöglichkeiten auszuloten. Zusammen mit Linkspartei und Grünen wird die SPD der neuen Bundesregierung die Stirn bieten wollen – die inhaltlichen Gemeinsamkeiten werden noch stärker zu Tage treten als bislang. Eine rot-rot-Grüne Koalition im Bund wird damit 2013 zu einer realen Option.
Historische Wahl
Für die Grünen steht zudem eine schmerzhafte Koalitionsdebatte an, die der Partei enorme Chancen bietet. Will die Partei perspektivisch Koalitionsoptionen jenseits der SPD bilden, muss sie sich entweder einem Bündnis mit der Union oder einer Koalition mit SPD und Linkspartei öffnen. Beides dürfte zu erheblichen Konflikten an der Basis führen. Zugleich aber könnten die Grünen, sollten sie nicht zu weit nach links rücken, eine bedeutende Rolle im Fünf-Parteien-System zukommen. Als einzige Gruppierung könnten sie als Koalitionspartner für beide Lager in Frage kommen, und damit eine Schanierfunktion erreichen, die einst die FDP in der alten Bundesrepublik inne hatte.
Für die Linkspartei bedeutet das Wahlergebnis trotz des hervorragenden Ergebnisses eine schwierige Herausforderung. Die SPD wird ihr in der Opposition die Rolle des linken Gewissens streitig machen wollen. Deshalb wird sich die Linke unter Lafontaine entscheiden müssen, ob sie einen Wettstreit um die radikalsten Forderungen eröffnet.
Wahrscheinlich wird der 27. September 2009 als historisches Datum in die politische Geschichte eingehen: als die letzte Bundestagswahl, bei der die Parteien am alten Lager-Denken festgehalten und neue Bündnisse ausgeschlossen haben. Und bei der ein letztes Mal zwei Parteien eine Mehrheit erringen konnten. 2013 heißt es dann: Kommt Rot-Rot-Grün oder Jamaika.
Quelle: ntv.de