Zwischenruf Die Afghanisierung Pakistans
25.07.2007, 20:05 UhrVon Manfred Bleskin
"Unser Blut wird eine Revolution auslösen", hatten die islamischen Extremisten prophezeit, als die pakistanische Armee zu Monatsbeginn das wegen der Farbe seiner Mauern als Rote Moschee bekannt gewordene Lal-Masjid-Gebetshaus in Islamabad erstürmten. Mal abgesehen davon, dass eine Revolution ganz gewiss etwas anderes ist als der blutige Terror der Taleban und Co., ist die Vorhersage eingetroffen.
Pakistan wird von einer für das Land beispiellosen Welle der Gewalt heimgesucht. Kürzlich wurde auf dem Militärstützpunkt Chaklala am Rande der Hauptstadt gar das Flugzeug von Diktator Pervez Musharraf beschossen, Zentrum der Angriffe und Attentate aber sind die de facto unabhängigen Stammesgebiete im nordwestlichen Wasiristan an der Grenze zu Afghanistan. Erst am heutigen Mittwoch wurden mindestens 13 Menschen beim Raketenbeschuss einer Moschee (!) in der Stadt Bannu getötet. Die sunnitischen Stammesmilizen hatten zuvor in der vergangenen Woche ein Stillhalteabkommen mit der Staatsführung aufgekündigt. In der Region leben wie in den angrenzenden Provinzen Afghanistans überwiegend Paschtunen, aus denen sich die fanatischen Koranschüler überwiegend rekrutieren. Die unwegsamen Gebiete stellen das ideale Rückzugsgebiet für die Terrororganisation Al-Q’aida und die afghanischen Taleban dar. Dies gilt sowohl für die Logistik als auch für die Rekrutierung immer neuer Kämpfer. Wurden die Koranschulen einst vom Staat als Zentren des Widerstands gegen die sowjetische Invasion Afghanistans gefördert, kehren sich die Geister nun gegen den, der sie rief.
Sozialen Nährboden hat es allenthalben, nicht nur in Wasiristan: 48 Prozent aller Pakistaner leben unter dem Existenzminimum. 52 Prozent der Kinder sind vom regulären Schulunterricht ausgeschlossen; die Madrasen, die kostenlosen, häufig von Saudi-Arabien finanzierten Koranschulen sind da die einzige Möglichkeit, Kindern Bildung zu vermitteln. Auch wenn diese in wenig mehr besteht, denn in der Vermittlung einer Schrift, die aus 114 Kapiteln besteht und immerhin gut 1400 Jahre auf dem Buckel hat. 78 Prozent der Pakistaner können sich keinen Arztbesuch leisten.
Hinzu kommen die nationalen Probleme: Die rund 168 Millionen Einwohner definieren sich in erster Linie zumeist nicht als Pakistaner, sondern als Paschtunen, Sindhi, Punjabi, Muhajir oder Belutschen. Auch in der Provinz Belutschistan operiert eine so genannte Befreiungsarmee. Deren Ziel besteht in der Loslösung des 347.000 Quadratkilometer großen Gebiets von der Zentralmacht. Dies ist fast die Hälfte des Landesterritoriums. Hinzu kommen die wiederholten blutigen Zusammenstöße zwischen Extremisten der der sunnitischen Bevölkerungsmehrheit und deren schiitischen Minderheitspendant in den großen Städten.
Pervez Musharraf laviert zwischen den Fronten: Einerseits ist er bemüht, die Islamisten unterschiedlicher Couleur zu deckeln. Andererseits muss er um den Preis des eigenen politischen Überlebens Druck auf die demokratische Opposition ausüben. Der General stützt sich auf die Armee, die nicht nur ein militärischer, sondern auch ein wirtschaftlicher Machtfaktor ist. Ob er sich des Rückhalts im übermächtigen Geheimdienst ISI sicher sein kann, ist fraglich: Der Inter-Services Intelligence gilt als Schutzpatron der Koranschüler.
Ein wesentlicher Machtfaktor ist die Unterstützung, die Musharraf, namentlich seine Armee, im so genannten Krieg gegen den Terrorismus aus den USA erhält. Ohne das Plazet Washingtons hätte sich der General nach seinem Putsch im Sommer 1999 nicht halten können. 9/11 geriet zum Strohhalm, an dem sich der Putschist aus dem Wasser ziehen konnte. Gleichwohl reicht die Kraft der Streitkräfte nicht aus, die Islamisten auszuschalten. Vor diesem Hintergrund hatte die Bush-Administration jüngst mit militärischen Aktionen gegen Taleban- und Al-Q’aida-Stützpunkte in Pakistan gedroht. Obzwar die Drohung derweil mit dem Hinweis relativiert wurde, dass es sich bei Pakistan um einen souveränen Staat (sic!) handele, schwebt das Damoklesschwert einer Ausdehnung des Krieges in Afghanistan auf das Nachbarland weiter über der Region. "Versehentliche" Angriffe der US-Truppen auf pakistanisches Gebiet mit vielen Toten hatte es in der Vergangenheit ohnehin bereits gegeben.
Nach dem Sturm auf die Rote Moschee und Washingtons Wink mit dem militärischen Zaunpfahl drohen in großen Teilen Pakistans afghanische Zustände. Die Zahl der Schauplätze des "Kriegs gegen den Terror" wird immer größer, die Schauplätze selbst immer unüberschaubarer. Auch daran sollten die Abgeordneten des Deutschen Bundestages denken, wenn sie nach der Sommerpause über die Zukunft des Afghanistanmandats der Bundeswehr entscheiden.
Quelle: ntv.de