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Bürgergeld statt Hartz IV Die Ampel entwertet die Arbeit

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Hartz IV bekommt ein neues Label, aber Deutschland keine bessere Arbeitsmarktpolitik. Stattdessen sendet die Bundesregierung mit dieser Reform falsche Signale an Arbeitslose und Arbeitende.

Der monatliche Hartz-IV-Satz steigt um 50 Euro, die Sanktionen bei Fehlverhalten fallen weg, die Weiterbildung wird noch einmal verstärkt, und das Ganze heißt bald "Bürgergeld".

Die deutschen Sozialdemokraten schließen damit einen bald 15 Jahre andauernden Exorzismus ab. Die "Agenda 2010", die Hartz-Gesetze des letzten SPD-Kanzlers Gerhard Schröder, galten weiten Teilen der Partei als der Grund für ihren jahrelangen Niedergang. Zu verstehen war das nie: Die Agenda 2010 war doch die größte deutsche Sozialstaatsreform seit dem Krieg, sie war das Fundament von weit mehr als einer Dekade nahezu ungebrochenen Wachstums, sinkender Staatsverschuldung und kaum mehr für möglich gehaltener Vollbeschäftigung. Angela Merkel hat in ihrer langen Amtszeit von wenig anderem so gut gelebt wie von den wirtschaftlichen Erfolgen dieser Reform. Trotzdem waren weite Teile der SPD nicht stolz darauf, sondern hatten ein schlechtes Gewissen.

Jetzt ist ein neuer SPD-Kanzler im Amt, und Hartz IV verschwindet nicht nur dem Namen nach, sondern auch als Konzept. Das ist eigentlich verrückt.

Die 50 Euro Erhöhung sind dabei überhaupt nicht das Problem, im Gegenteil. Wohl jeder würde den Arbeitslosen (länger als ein Jahr) diesen Aufschlag gönnen, allein die höheren Preise für Lebensmittel rechtfertigen den neuen Satz. Es geht um etwas anderes.

Abkehr von der Malocher-Ehre

Aus der Reform spricht eine Haltung, die den Wert von Arbeit und Arbeitenden noch einmal tiefer legt. Das kann nicht gewollt sein, aber es ist abzulesen an mehreren Punkten.

Das Bemühen um eine neue Arbeit wird ins Belieben der Arbeitslosen gestellt: Wer nicht will, der soll auch nicht. Offiziell "Arbeitssuchende" können Nein sagen, wenn ihnen eine zumutbare Arbeitsstelle nicht gefällt. Druck oder Kürzungen müssen sie nicht mehr fürchten. Das wertet besonders die Arbeitsplätze mit einfachen Tätigkeiten ab, es ist die Abkehr von der alten (sozialdemokratischen) Malocher-Ehre, wonach nahezu jede Arbeit besser ist als keine Arbeit.

Der weitgehende Verzicht auf Sanktionen bei Versäumen oder Boykott der angebotenen Termine oder Weiterbildungen zeigt in dieselbe Richtung. Was in der Arbeitswelt kaum möglich wäre, soll in der Welt der Arbeitslosigkeit in Ordnung sein? Das passt nicht zusammen, und es sendet ein weiteres verstörendes Signal an alle, die in einfachen Jobs Vollzeit arbeiten und mit ihren Steuern und Sozialabgaben die Arbeitslosenunterstützung mitfinanzieren. Weit mehr Menschen als bislang werden darum denken: "Wer arbeitet, ist der Dumme." Das kann die Regierung nicht wollen - doch sie befeuert es.

Die Ampel hat aufgegeben

Zumindest fragwürdig ist auch die starke Betonung der Weiterbildung bei der Reform. Sie erhält in der Praxis Vorrang vor der Vermittlung in Arbeit, damit wird das ursprüngliche Hartz-IV-Konzept auf den Kopf gestellt. Dabei haben die ungezählten Weiterbildungsangebote in der Vergangenheit keineswegs den Erfolg gehabt, der ihre Ausweitung nun nahelegen würde - erst recht nicht in einer Zeit, in der Handwerk und Unternehmen händeringend Mitarbeiter suchen.

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Denn das ist der eigentliche Skandal der deutschen Arbeitsmarktpolitik, die von Hartz IV auf Bürgergeld umschaltet: Sie versagt dabei, auch nur einen Bruchteil der knapp zwei Millionen offenen Stellen aus der Gruppe der insgesamt 2,5 Millionen Arbeitslosen zu besetzen. Nicht jeder dieser 2,5 Millionen ist vermittlungsfähig, gewiss. Aber es geht bei weitem nicht nur um hoch qualifizierte Beschäftigung, auch mehrere Hunderttausend Arbeitsplätze mit sogenannten einfachen Tätigkeiten sind offen. Aber wenn Koffertransporteure am Flughafen oder Hilfskräfte im Pflegeheim gesucht werden, spricht der Arbeitsminister gar nicht mehr von den hiesigen Arbeitslosen. Quasi automatisch und sofort soll Zuwanderung die Lösung sein - die aber wie im Fall der Flughafenmitarbeiter aus der Türkei an der Bürokratie scheitert.

Das Bürgergeld ändert an diesem eklatanten Versagen rein gar nichts. Die Regierung hat sich, wie es scheint, mit dem grotesken Missverhältnis zwischen Arbeitslosenzahl und offenen Stellen einfach abgefunden. Sie hat aufgegeben. So gesehen ist das Bürgergeld nicht der Neustart der Arbeitsmarktpolitik, sondern ihr Requiem.

Quelle: ntv.de

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