
Drei, die sich nicht einigen konnten: Habeck, Scholz und Lindner.
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Endlich ist der AKW-Streit fürs Erste beendet. Doch Olaf Scholz' Machtwort kennt nur Verlierer: vom Kanzler über Christian Lindner bis hin zu den Grünen und der Ampel als Ganze - von den Wählern ganz zu schweigen.
Kaum war das jetzt schon historische Schreiben von Bundeskanzler Olaf Scholz öffentlich, sah sich der FDP-Vorsitzende Christian Lindner am frühen Montagabend zu einer kleinen Jubelarie auf Twitter veranlasst. "Die weitere Nutzung des Kernkraftwerks Emsland ist ein wichtiger Beitrag für Netzstabilität, Stromkosten und Klimaschutz." Daher finde die Entscheidung, die Scholz nur unter Anwendung seiner Richtlinienkompetenz durchsetzen konnte, die volle Zustimmung der Liberalen.
Lindner hatte dieses Basta erzwungen, weil die FDP nach ihrem Rauswurf aus dem niedersächsischen Landtag nichts mehr wissen wollte von der in der Ampelkoalition getroffenen Verabredung, nur die zwei süddeutschen AKW am Laufen zu halten und sie nur im Notfall tatsächlich einzusetzen. Doch Lindners politischer Erfolg nützt niemandem etwas. Er hat lediglich ein erbärmliches Schauspiel der Ampel losgetreten: Es ging nur noch um Machtpolitik, ohne Nutzen für die Wähler.
In keinem Szenario drohte im kommenden Winter ein Problem mit der Netzstabilität im Norden. Der verfügt nämlich nicht nur über massig Windkraftanlagen, sondern anders als der Süden auch über zuverlässig liefernde Gaspipelines ohne Anbindung nach Russland. Für den Strompreis wiederum macht der Weiterbetrieb von Emsland ebenfalls keinen Unterschied. Ob die fast aufgebrauchten Brennstäbe des Kernkraftwerks Emsland bis Jahresende aufgebraucht werden oder mit geringerer Last über den Jahreswechsel hinaus im Betrieb bleiben, ist auf den gesamten Winter gerechnet ein Nullsummen-Spiel für den Strommarkt. Im Gegenteil: Wenn der Wind kräftig bläst, müssen noch günstiger produzierende Windkraftanlagen abgeschaltet werden, weil man AKW nicht nach Belieben hoch- und runterfahren kann. Das wiederum stellt auch den Beitrag des AKW Emsland zum Klimaschutz infrage.
Gründe liefert Scholz nicht
Das weiß auch Scholz, der seinem Bundeswirtschaftsminister nicht blind vertraut und dennoch vor der Niedersachsen-Wahl Robert Habecks Plan einer Einsatzreserve für die AKW Isar 2 und Neckarwestheim 2 sowie einem Ende des AKW Emsland zugestimmt hatte. Leider hat Scholz seine mit aller Kanzlermacht durchgedrückte Entscheidung am Montagabend nicht öffentlich begründet. Sonst hätte er womöglich die Frage beantworten müssen, welche neue Erkenntnis er seit vergangener Woche gewonnen hat, um nun doch auf die FDP-Forderungen einzugehen. Solche Erkenntnisse dürfte es nicht geben. Neu ist lediglich, dass FDP und CDU/CSU weiten Teilen der Öffentlichkeit erfolgreich den Eindruck vermittelt haben, das AKW Emsland könne in der Energiekrise einen gewichtigen Unterschied machen.
Lindner nach seinen Maximalforderungen auflaufen zu lassen, hat sich Scholz offenbar nicht getraut. Da mutet er lieber den ungeliebten, direkten SPD-Konkurrenten von Bündnis90/Die Grünen zu, über ihre auf dem Parteitag am Freitag gefasste Zustimmung zur Einsatzreserve hinauszugehen. Dass Habeck noch am selben Abend erklärte, er könne mit Scholz' Diktum leben, überrascht. Habeck und die für Reaktorsicherheit verantwortliche Umweltministerin Steffi Lemke hatten ihrer Partei in Bonn mit Rührung in der Stimme erklärt, dass der Einsatzreserve-Plan das Höchstmaß des Zumutbaren sei. Keine 72 Stunden später knickten sie vor dem Bundeskanzler ein - froh darüber, jetzt ein garantiertes Ausstiegsdatum für alle AKW im April zu haben und vermutlich noch froher darüber, dass der jetzige Energie-Fahrplan für den Winter auch Scholz und die SPD in die Pflicht nimmt. Der Atomausstieg ist nun auch Scholz' Politik, nachdem sich die SPD beim Gasumlage-Desaster noch auf Kosten der Grünen in die Büsche geschlagen hatte.
Lindner schlägt Lindner
Dennoch kann auch Habeck diesen Tag nicht als Erfolg verbuchen. Seine Partei bekam am Sonntag in Bonn von der Gastrednerin Luisa Neubauer die Leviten gelesen, die den Grünen vorwarf, zu viele machttaktische Kompromisse zum Nachteil von Umwelt- und Klimaschutz einzugehen. Die stehenden Ovationen der Parteitagsdelegierten zeigten, wie sehr Neubauer einen Nerv getroffen hatte. Nun muss Habeck den Seinen erklären, warum die Grünen im Bundestag einer faktischen dritten Laufzeitverlängerung für alle drei AKW zustimmen sollen, wenn auch nur um drei Monate.
Die Atomkraftgegner liegen ja richtig in ihrer Befürchtung, dass auch diese Entscheidung nicht das Ende vom Kernkraft-in-Deutschland-Lied ist. Die Union plädiert für die Anschaffung neuer Brennstäbe für den ebenfalls schwierigen Winter 2024 und es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch wieder aus der FDP entsprechende Forderungen kommen. Denn Lindners vermeintlicher Erfolg gegen Habeck wird die Liberalen kaum in neue Umfragehöhen hieven. Im Gegenteil: Lindners eigene Rhetorik bestärkt beständig den Eindruck, dass die FDP eine ideologische Linksregierung mittrage - staatspolitische Verantwortung hin oder her. Die Union kann das Bild, das rechtsbürgerliche und liberale Wähler von der Ampel haben, nur mit Mühe so schwer beschädigen, wie es Lindner mitunter in einem Tweet gelingt.
Die Spirale der liberalen Profilneurose wird sich vermutlich dennoch weiterdrehen und die Grünen werden sich fragen, was sie dem kleinsten der drei Koalitionspartner noch alles zugestehen sollen. Jedenfalls keine neuen Brennstäbe, denn die würden nicht nur für ein, sondern für mehrere Jahre angeschafft. Das aber ist mit den Grünen und auch weiten Teilen der SPD nicht zu machen. Dann wird die FDP eben an anderer Stelle den eigenen Markenkern gegen die eigene Koalition herauszuarbeiten versuchen. Weitere Konflikte sind vorprogrammiert, die der Kanzler aber nicht unter wiederholtem Verweis auf seine Richtlinienkompetenz entscheiden kann. Mit deren Wirkmächtigkeit verhält es sich nämlich wie mit den Brennstäben im AKW Emsland: Sie ist schnell aufgebraucht.
Quelle: ntv.de