Neuregelung zur Organspende Die Entscheidung, die jeder fällen muss
22.03.2012, 11:52 UhrDie Neuregelung in Sachen Organspende, über die der Bundestag debattiert, ändert nichts an bestehenden Regelungen. Sie fordert lediglich die Menschen zu einer Entscheidung auf. Doch die Entscheidung kann weiterhin verweigert, die Aufforderung ignoriert werden - zu Lasten der Angehörigen.

(Foto: dapd)
Der Bundestag debattiert über eine Neuregelung der Organspende. Doch eigentlich sind sich alle fünf Fraktionen schon einig: Künftig soll jeder Bundesbürger, der über 16 Jahre alt ist, regelmäßig Post von seiner Krankenversicherung bekommen. Eine "freiwillige Aufforderung zur Organspende", ohne Entscheidungszwang. Zudem sollen Krankenkassen verpflichtet werden, in diesem Zusammenhang regelmäßig Aufklärung in Sachen Organspende zu betreiben. Es handelt sich, da sich alle einig sind, um eine formelle Debatte - die Änderung wird kommen, so viel ist sicher.
In Deutschland gilt die sogenannte erweiterte Zustimmungslösung. Wer zu Lebzeiten nicht ausdrücklich einer Organspende zustimmt, dem werden nach dem Tod auch keine entnommen. Hat sich der Verstorbene zu Lebzeiten nicht dazu geäußert, werden die Angehörigen befragt, die dann nach dem mutmaßlichen Willen des Toten entscheiden sollen. An dieser Regelung wird sich nichts ändern. Auch nach der Neuregelung gilt: Wer zu Lebzeiten nicht ausdrücklich zustimmt, ist kein Organspender. Neu ist lediglich die Tatsache, dass man nun zu einer Entscheidung aufgefordert wird. Die Möglichkeit, den Brief der Krankenkasse ungeöffnet ins Altpapier zu befördern und so einer Entscheidung aus dem Weg zu gehen, bleibt. Zum Leidwesen der Angehörigen.
Angst vor dem Kontrollverlust
Nicht sicher ist, was die Änderung bewirken wird. Der Bundestag will eine große Lücke schließen: Fast drei Viertel der Bundesbürger stimmen grundsätzlich einer Organspende zu - nur ein Viertel aber bekundet diesen Willen auch in einem entsprechenden Organspendeausweis. Diese Zahlen sollen durch die "Aufforderung zur Entscheidung" angeglichen werden. Doch in wie weit das gelingt, bleibt fraglich. Denn wer bei einer Umfrage angibt, für die Organspende zu sein, setzt nicht notwendigerweise auch seine Unterschrift unter eine solche Erklärung. Was im ersten Fall ein kurzes "Ja" oder "Nein" ist, ist beim letzteren eine zutiefst persönliche Entscheidung, die jeder für sich selbst treffen muss. Und es ist eine unangenehme Entscheidung. Denn es geht um den Moment im Leben, der sich unserer Kontrolle entzieht wie kein anderer. Es geht um den Tod. Und mit einem "Ja" zur Organspende geben wir auch das letzte - scheinbare - Stück Kontrolle aus der Hand.
Auch wenn es pietätlos erscheinen mag, den Menschen mit seinem eigenen Tod zu konfrontieren, wie es künftig regelmäßig passieren wird: Die Neuregelung ist sinnvoll, auch wenn sie die große Lücke zwischen Spendebefürwortern und tatsächlichen Organspendern sicher nicht schließen wird. Da wird auch die Aufklärung, die mit der Aufforderung zur Entscheidung einhergehen soll, nichts helfen. Denn das Problem sind nicht die Vorbehalte gegen eine Organspende - Umfragen zeigen, dass es bei 75 Prozent der Bundesbürger keine gibt.
Der Tod, ein unangenehmes Thema
Das Problem ist eben jene intensive persönliche Auseinandersetzung mit dem eigenen Tod, die vielen Menschen schwerfällt oder gar unmöglich ist. Da hilft kein Appell, dass derzeit in Deutschland 12.000 Menschen auf ein Spenderorgan warten. Dass alleine hierzulande pro Tag drei Menschen sterben, weil sie kein Spenderorgan bekommen habe. Da helfen auch keine rationalen Argumente der Mediziner, die einem die Angst vor einer Organspende nehmen sollen.
Und so werden vermutlich viele, die künftig Post von ihrer Krankenkasse erhalten, die Entscheidung verschieben oder verweigern. Um es ganz klar zu sagen: Wer das tut, handelt zutiefst egoistisch.
Natürlich kann und soll niemand zu einer Entscheidung gezwungen werden. Aber jeder sollte sich klar darüber werden, welche Konsequenzen es hat, sich nicht zu entscheiden. Nach Angaben der Deutschen Stiftung Organspende entscheiden derzeit in neun von zehn Fällen die Familienmitglieder über eine Organspende. Wer sich einmal die Zeit nimmt und sich Gedanken über das Thema macht, kann seinen Angehörigen viel Leid ersparen. Egal, ob er sich für oder gegen eine Spende entscheidet. Wichtig ist nicht das Ergebnis der Entscheidung, sondern diese selbst. Sie fällt nämlich sonst im Todesfall auf die Angehörigen zurück, die im Moment tiefster Trauer, wenige Minuten nach dem Ableben eines geliebten Menschen, für ihn ein Urteil fällen müssen. Weil er es nicht geschafft, und dennoch die Kontrolle verloren hat.
Quelle: ntv.de