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Zuwanderung als Wahlkampfthema Die SPD eignet sich nicht zum Ankläger gegen Söder

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Faeser erlebt einen schwierigen Wahlkampf in Hessen und will als Bundesinnenministerin punkten.

Faeser erlebt einen schwierigen Wahlkampf in Hessen und will als Bundesinnenministerin punkten.

(Foto: picture alliance/dpa)

Markus Söder und Nancy Faeser überbieten sich mit Vorschlägen zur Bekämpfung illegaler Migration - und gegenseitigen Vorwürfen. Die Aufregung um das Thema, das so viele bewegt, ist aber allein dem Wahlkampf geschuldet. Glaubhafte Beiträge zur Problemlösung liefert keiner der beiden.

Markus Söder verfügt über das Ausmaß an Schamlosigkeit, Cleverness, Opportunismus und Chuzpe, das in der Politik oft ganz nach oben führt. Beteuert der bayerische Ministerpräsident, nicht Kanzlerkandidat der Union werden zu wollen, strebt er Monate später den Posten an. Armin Laschet kann ein Lied davon singen - und Friedrich Merz wird demnächst in den Song einstimmen können. Denn Söder wird, sobald sich die Chance auftut, nicht zögern, Merz als Herausforderer von Kanzler Olaf Scholz zu verhindern, um möglichst selbst anzutreten.

Aber erst einmal muss der CSU-Spitzenmann die Landtagswahl im Freistaat gewinnen. Deshalb fordert Söder dieses und jenes, was populär ist oder zu sein scheint. Die Abschaltung der letzten drei deutschen Atomkraftwerke etwa lehnt die Mehrheit der Bevölkerung als verfrüht oder generell ab. Der Ministerpräsident erklärte im April, Isar 2 in bayerischer Regie vorerst weiterzubetreiben, solange die Energiekrise "nicht beendet und der Übergang zu den Erneuerbaren nicht gelungen ist". Ein utopischer Vorschlag. Im Grundgesetz ist geregelt, dass allein der Bund für "die Erzeugung und Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken" zuständig ist. Wohin Söder den Atommüll schaffen will, verrät er nicht. Vorschläge wird der CSU-Vorsitzende dazu nicht machen, weil die unpopulär wären.

Im März 2011 war Söder als bayerischer Umweltminister noch ein Grüner im Herzen. Nach der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima als Folge des verheerenden Tsunamis drohte er mit Rücktritt, falls die Bundesregierung nicht aus der Kernkraft aussteigt. Kanzlerin Angela Merkel folgte, denn auch sie wollte die nächste Wahl gewinnen. Aber weder die frühere CDU-Vorsitzende noch der jetzige CSU-Chef sorgten dafür, dass das Aus der Atommeiler durch Zubau von ausreichend erneuerbarer Energie flankiert worden ist, weil Windräder insbesondere in Bayern extrem unpopulär waren und es teils noch sind.

Söder zaubert die "Obergrenze" aus dem Hut

Umfragen belegen, dass die Menschen momentan nichts so sehr umtreibt wie die nicht abebbende Flüchtlingswelle. Also bringt Söder eine Obergrenze - er nennt sie, weil das freundlicher und neuer klingt, "Integrationsgrenze" - von 200.000 Migranten pro Jahr ins Spiel, wie sie die CSU schon 2015/16 gefordert hatte. Wer das wie durchsetzen und überwachen soll, ob Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine einbezogen werden sollen: unklar. Aber die Forderung ist populär, sie klingt in den Ohren vieler Menschen wie die Lösung aller Probleme, zumal sie (angeblich) auch noch die AfD kleinhalten würde. Nun sind die Leute aber nicht blöd und wissen: So funktioniert es nicht, weil nicht abgeschoben wird, wer "Asyl" sagt, mindestens bis zur langwierigen Ablehnung seines Antrags bleiben darf, Obergrenze hin oder her.

Söder möchte (angeblich), dass Asylbewerber "gemeinnützig" werkeln: "Arbeit in Bauhöfen, Parks reinigen oder Bäume pflanzen." Man sieht es schon vor Augen, wie reibungslos das über die Bühne gehen wird. Bargeld sollen sie nicht mehr bekommen, dafür mit einer Chipkarte "Lebensmittel, Kleidung, Hygiene-Artikel" einkaufen, aber keinen Alkohol. Ob es ein Gesetz gibt, mit dem irgendwem der Erwerb erlaubter Produkte wie Schnaps und Bier verboten werden kann, darf man bezweifeln, auch wenn man nicht Jura studiert hat.

Schon im Wahlkampf 2018 erklärte Bayern, auf die Organisation von Flugzeugen durch den Bund für Abschiebungen zu verzichten und diese mit kleineren Chartermaschinen "deutlich effektiver und zielführender" zu organisieren. Söder: "Wir wollen den Abschiebedruck insgesamt erhöhen." Und: "Wir wollen ein Vorbild für andere Bundesländer werden." Ergebnis: Im ersten Halbjahr 2023 wurden nach Angaben des Münchner Innenministeriums 1.137 Ausreisepflichtige außer Landes geschafft, 2022 waren es 916. Von 7861 bundesweiten Abschiebungen entfielen 15 Prozent auf Bayern, dem nach Einwohnern zweitgrößten Bundesland. Einfach vorbildhaft!

Steine werfen im Glashaus

All das könnte man im Vertrauen, dass die allermeisten Bürger Söders Gerede und Getue durchschauen, so stehen lassen. Aber SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert musste mal wieder erklären: "Wie so oft geht es bei ihm nicht um politische Substanz, sondern um Show." Und: "Söder erliegt wieder der Versuchung, die Rechtsaußen auf dem Feld des Populismus schlagen zu wollen." Der thüringische Innenminister Georg Maier, ebenfalls Sozialdemokrat, attestiert dem CSU-Chef "populistische Schaumschlägerei".

Das stimmt natürlich, was Kühnert und Maier sagen. Und dennoch ist es ein Eigentor. Beide sitzen im Glashaus und werfen mit Steinen. Denn diejenige, die für Asylbewerber federführend in der Bundesregierung zuständig ist, Innenministerin Nancy Faeser, neigt selbst zum Populismus und Aktionismus. Die Sozialdemokratin will bekanntlich Ministerpräsidentin in Hessen werden, sie befindet sich im Wahlkampf.

Faesers Idee, Mitglieder krimineller Clans abzuschieben, auch wenn ihnen individuell keine Straftat nachgewiesen werden kann, ist - zumal es sich bei den Banden oftmals um deutsche Staatsbürger handelt - weit unter der rechtstaatlichen Gürtellinie. Denn das ist nichts anderes als "Sippenhaft". Wäre die Idee von der AfD gekommen, hätte die SPD getobt. Zu Recht. Die Unschuldsvermutung, die ohnehin schon bröckelt, ist ein Eckpfeiler der Rechtsprechung.

Viele Aktionismus vor der Wahl

Nun will Faeser härter gegen Schleuser vorgehen lassen. "Ich will dieses grausame Geschäft mit der Not von Menschen stoppen", sagte sie und kündigte - im Spätsommer 2023! - eine "Operative Analyse-Zentrale bei der Bundespolizei" an, die Fälle illegaler Einwanderungen auswerten soll, um Verbindungen zu etwaigen Tätern "schnell" zu erkennen. Eine "Taskforce" mit Nachbarländern soll es richten. Und natürlich: "Wir wollen Schleuser schnell und konsequent ausweisen, das müssen wir klar im Gesetz regeln." Im Koalitionsvertrag der Ampel heißt es: "Wir starten eine Rückführungsoffensive, um Ausreisen konsequenter umzusetzen, insbesondere die Abschiebung von Straftätern und Gefährdern." Tatsächlich erreicht die Zahl der Abschiebungen weder 2022 noch voraussichtlich 2023 das Niveau der Jahre vor der Pandemie.

Bezeichnend ist auch das Hü und Hott um die freiwillige Aufnahme von Flüchtlingen aus Italien. Das alles ist streng genommen kein Populismus, jedenfalls nicht der Marke Söder, aber auch keine stringente Politik, die Vertrauen schafft. Der Antrieb sind Umfragen: Die eine besagt, dass Faeser keine Chance hat, die Wahl in Hessen zu gewinnen. Die andere schon erwähnte zeigt, dass die Bevölkerung nichts so sehr bewegt wie die illegale Migration, die das Land mehr und mehr überfordert. Also wird die Ministerin hier aktiv. Im Grunde ist das gut und richtig. Würde nicht - wie auch bei Söder - der Eindruck entstehen, dass die Vorschläge allein dem Wahlkampf geschuldet sind. Glaubhaft ist das nicht. Und gegenseitige Populismus-Vorwürfe machen es nicht besser.

Quelle: ntv.de

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