
CSU-Landesgruppenchef Dobrindt und Unionsfraktionschef Merz werteten das Urteil aus Karlsruhe als Erfolg.
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Nach der Schlappe beim Heizungsgesetz fügt die Union der Ampelkoalition in Karlsruhe erneut eine herbe Niederlage zu. So verständlich der Jubel von CDU und CSU über das Verfassungsgerichtsurteil ist, er wird nicht von Dauer sein. Auch die nach Umfragen stärkste Partei muss nach diesem Tag Antworten liefern.
Die gemeinsame Fraktion von CDU und CSU ist ihrer maßgeblichen Funktion als größte Oppositionspartei im Bundestag nachgekommen. Mit ihrer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Umwidmung von 60 Milliarden Euro Corona-Hilfen hat sie das Regierungshandeln auf seine Verfassungsmäßigkeit abgeklopft. Zu Recht, sagen die Richter in Karlsruhe, und senken den Daumen über die Taschenspielertricks der Regierung. Die Konservativen werten das Urteil nachvollziehbarerweise als ihren Erfolg, genauso wie schon bei der Intervention der Verfassungsrichter gegen das Gesetzgebungsverfahren beim Heizungsgesetz. Doch die Freude dürfte diesmal nicht von Dauer sein. Denn die von der Union vergötterte Schuldenbremse wird infolge des Urteils mehr denn je infrage gestellt.
Das Bundesverfassungsgericht hat mitnichten ein Werturteil zur ökonomischen und politischen Sinnhaftigkeit der Schuldenregel abgegeben. Die Richter haben lediglich den Gesetzestext mit dem Regierungshandeln abgeglichen und festgestellt: Was die Ampelkoalition mithilfe ihrer Fraktionen entschieden hatte, die Umwidmung von Corona-Krediten in Mittel zum Umbau der Wirtschaft und Infrastruktur, ist in der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse nicht vorgesehen. Hätte die Bundesregierung dagegen Schulden aufgenommen, um eine akute wirtschaftliche Notsituation zu bekämpfen, die der Ukraine-Krieg verursacht hat, wäre also den gesetzlichen Weg der Ausnahmeregelung gegangen, hätten die Ausgaben durchaus verfassungskonform sein können.
Die Schuldenbremse hat ihre Verdienste
Über das "Ende aller Schattenhaushalte" jubelte Unionsfraktionschef Friedrich Merz wenige Stunden nach der Urteilsverkündung und machte zugleich deutlich: Die Schuldenbremse zu lockern, "dafür gibt es keinerlei Rechtfertigung". Die Bundesregierung habe nun endlich keine andere Wahl mehr, als nur die Gelder zu verplanen, die sie auch tatsächlich einnimmt. Vieles spricht dafür, dass das im Normalfall auch so sein sollte. Es stimmt ja, dass die Bundesrepublik nur wegen ihrer haushalterischen Vernunft der Vorjahre in der Pandemie in der Lage war, fiskalisch maximal gegenzuhalten: mit Rücklagen und günstigen Krediten dank glänzender Bonität. Genauso stimmt, dass eine gänzlich andere Verschuldungspolitik dem Land spätestens mit der Zinswende auf die Füße gefallen wäre. Schulden sind nach langer Zeit wieder teuer geworden, auch wenn das mancher in den Jahren der Null-Zins-Politik nicht hatte wahrhaben wollen.
Doch die Union, das muss man ihr vorwerfen, denkt nicht über den Tag hinaus: Sie will wieder Verantwortung im Bund übernehmen und hat darauf auch gute Aussichten, genauso wie sie jetzt schon Regierungsverantwortung in den Ländern trägt. Wenn sie aber meint, die gigantischen Herausforderungen seien allein durch Umschichtungen im Haushalt und das Streichen einzelner Vorhaben zu stemmen, lügt sie sich in die Tasche. Es mag Exzesse bei den Sozialausgaben und Migrationskosten geben. Man kann infrage stellen, ob gigantische Chiphersteller nur zum Preis von zweistelligen Milliardensubventionen nach Deutschland zu locken sind. Aber die Notwendigkeit zur Transformation der Energieversorgung und Erneuerung der Infrastruktur ist real.
Das Nein zur Reform der Schuldenbremse ist zu wenig
Einmal weil Deutschland - ebenfalls verfassungsrechtlich - an die Klimaziele gebunden ist, zum anderen aber auch, weil der Erfolg der Wirtschaft und die politische Souveränität des Landes an Kosten und Zuverlässigkeit der Energieversorgung hängen. Hier gibt es keine sinnvolle Alternative zum massiven Ausbau der Erneuerbaren Energien. Selbst Anhänger der Atomkraft müssen eingestehen, dass diese zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr kurzfristig einspringen könnte und ebenfalls milliardenschwere Anschubfinanzierung bräuchte. Zudem braucht Deutschland ein leistungsfähigeres Bahnnetz, eine moderne Energieinfrastruktur, eine nachhaltige Wärmeversorgung und energieeffiziente Gebäude. Die hierfür bislang im KTF vorgesehenen Mittel kamen und kämen auch unionsregierten Ländern zugute.
Wie all diese Investitionen unter strikter Einhaltung der bestehenden Schuldenbremse finanziert und zeitgleich das Verteidigungsbudget dauerhaft gesteigert werden soll, während die deutsche Wirtschaft und das Sozialsystem dauerhaft von immensen demografischen Verwerfungen belastet werden: Darauf hat die Union genauso wenig wie die FDP eine überzeugende Antwort. Der jüngste Vorstoß der SPD dagegen, die Schuldenbremse für investive Ausgaben zu öffnen, ist da schon plausibler. Der Vorschlag findet Zustimmung auch bei arbeitgebernahen Ökonomen, von Sozial- und Umweltverbänden ganz abgesehen. Weil aber die Union einer Grundgesetzänderung zur Reform der Schuldenbremse zustimmen müsste, kann sie sich in dieser Debatte nicht länger auf ein stumpfes "Nein" zurückziehen - nicht als Regierungspartei im Wartestand. Die Union, die sich heute noch mit gutem Recht als Jäger feiern lässt, könnte daher infolge des Urteils bald zur Getriebenen werden.
Quelle: ntv.de