Von neun auf sechs auf null Die Wehrpflicht ist überholt
17.03.2010, 12:30 Uhr
Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg will die Verkürzung der Wehrpflicht auf sechs Monate um ein Vierteljahr vorziehen. Sie würde dann ab dem 1. Oktober gelten.
(Foto: dpa)
Wie viele Institutionen der alten Bundesrepublik entstand auch die Bundeswehr im Spannungsfeld von Kaltem Krieg und den "Lehren aus Weimar". Die Reichswehr der ersten deutschen Republik war ein "Staat im Staate", ein deutschnationaler, republikfeindlicher noch dazu. Dies sollte bei der Bundeswehr verhindert werden, ihr Leitbild wurde der "Bürger in Uniform". Dazu gehörte die Wehrpflicht, die den ständigen Zufluss junger Männer jedweder Herkunft garantierte.
Schon damals hatte die Wehrpflicht nicht nur einen qualitativen, sondern auch einen quantitativen Aspekt: Die "neue deutsche Wehrmacht" war nach der französischen die größte Armee auf dem Kontinent. Auch dazu brauchte man die Wehrpflicht.
Heute ist beides überholt: Die Bundeswehr ist keine Bedrohung für den Bestand der Demokratie und die Personalstärke der Armee kann auch ohne Wehrpflicht gehalten werden. Zugegeben: Aus Sicht der Bundeswehr ist die Wehrpflicht ein ideales Rekrutierungsinstrument. Welches Unternehmen wäre nicht begeistert, wenn ganze Jahrgänge sich bei ihm auf Staatskosten in einem Praktikum vorstellen würden?
Dennoch nimmt die Qualität der Bewerber ab, sagt der scheidende Wehrbeauftragte Reinhold Robbe. Dieses Problem wird auch die Wehrpflicht nicht lösen: Die Bundeswehr von heute ist eben eine andere als die aus der Zeit des Kalten Kriegs. Die einstige Verteidigungsarmee ist derzeit mit mehr als 7100 Soldaten weltweit im Einsatz. Damit hat sich auch das persönliche Risiko der Soldaten verändert.
Qualität vor Quantität

Viele Einrichtungen, die auf Zivildienstleistende angewiesen sind, sehen schwarz. Sie fürchten bei einer reduzierten Wehrpflicht, dass sich die Ausbildung von Zivildienstleistenden nicht mehr lohnt.
(Foto: AP)
Was sich nicht verändert hat, ist die offizielle Stellenbeschreibung der Bundeswehr nach Artikel 87a des Grundgesetzes: "Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf." Es ist an der Zeit, das Selbstbild an die Realität anzupassen. Deutschland braucht keine Wehrpflichtigen, sondern eine Armee, die der Demokratie verpflichtet, angemessen ausgerüstet und professionell organisiert ist.
Trotz Wehrpflicht scheint es daran dramatisch zu hapern. Einige Mängel, die Robbe in seinem letzten Bericht auflistet, sind skandalös. Das gilt auch für den Mangel an Wehrgerechtigkeit. Glaubt man den Musterungsberichten, ist Deutschland eine Nation gebrechlicher junger Männer. Nur gut die Hälfte der Wehrpflichtigen wird tauglich gemustert, nur rund ein Drittel absolviert tatsächlich seinen Wehr- oder Zivildienst, die weitaus meisten davon übrigens nicht in Uniform, sondern als zivile Helfer für Kranke, Alte und Behinderte: Im Januar dieses Jahres leisteten 38.765 junge Männer ihren Wehrdienst bei der Bundeswehr; im selben Monat registrierte das zuständige Bundesfamilienministerium 76.436 Zivildienstleistende.
Die Wehrpflicht ist nicht mehr zeitgemäß, nicht gerecht, sie kostet Geld und hat keinen messbaren Ertrag. An diesem Befund wird auch die Verkürzung der Dienstzeit nichts Wesentliches ändern. Die Bundeswehr braucht offenkundig eine innere Reform. Sie braucht eine Professionalisierung.
Quelle: ntv.de